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Kultur: Schreiende Länder, schweigende Welt PNN-Filmnacht zur ökumenischen Friedensdekade

Diesen Jugendlichen ist einfach nicht zu helfen. Hat einer von ihnen endlich eine Ausbildungsstelle, wirft er sie bald hin.

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Diesen Jugendlichen ist einfach nicht zu helfen. Hat einer von ihnen endlich eine Ausbildungsstelle, wirft er sie bald hin. Selbst die Versuche, mehr aus ihrem Hobby, der Rap-Musik, zu machen, bleiben halbherzig. Und natürlich lässt der Ärger mit der Polizei nicht lange auf sich warten. Aussehen, Sprache und Verhalten lassen die vier jungen Männer in Bettina Brauns Dokumentarfilm „Was lebst Du?“ schnell in einer Schublade verschwinden: „Ausländerkinder“. Auch er habe bald dieses Urteil gefällt, so Michael Erbach bei der PNN-Filmnacht im Rahmen der Ökumenischen Friedensdekade im Filmmuseum am Sonnabend. Doch der Film habe sein schnelles Urteil glänzend unterwandert, räumte der PNN-Chefredakteur ein.

Nicht indem sie Rechtfertigungen liefert, sondern indem sie Erklärungen für das Verhalten der jungen Erwachsenen sucht, hat sich Regisseurin Bettina Braun dem problematischen Alltag der jungen Männer über zwei Jahre hinweg angenähert und sie in ihrem Kölner Kiez zwischen Jugendclub, elterlicher Wohnung und Arbeitsamt porträtiert. Immer wieder kommt dabei der Zwiespalt zwischen hochfliegenden Träumen und Versagensängsten zum Ausdruck. Nähern konnte sie sich den vieren, die gleichsam verstärkt ein gutes Bild der desillusionierten Stimmung in Deutschland geben, allerdings nur, indem sie sehr viel von sich selbst einbrachte.

Mit ihrer Ansage, dass sie schwanger sei, habe sie das Eis gebrochen, erzählte die Regisseurin in der anschließenden Podiumsdiskussion, bei der Michael Erbach die Frage in den Raum stellte, ob hierzulande ein ähnliches Gewaltpotenzial verborgen sei wie in den brennenden Vorstädten Frankreichs. Netti Omorodion, deutschstämmige Muslima und Mitglied im Flüchtlingsrat Brandenburg, wollte den Vergleich mit Frankreich lieber meiden und unterstrich, dass die Konfliktherde vor allem in den sozialen Problemen der Migranten und der mangelnden Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen liegen. Wieland Niekisch, Landtagsabgeordneter der CDU, stellte zugleich die Forderung an die Migranten, sich in eine „europäischen Leitkultur“ einzufügen. Dies handelte ihm nicht nur die Gegenfrage Omorodions ein, wie dieses Leitbild denn aussehe, sondern veranlasste auch Mithra Morodian, aus dem Iran geflüchtete und in Potsdam lebende Migrantin, die oft auf Ablehnung stoßenden Integrationsbemühungen zu schildern.

Wie vergeblich der Wunsch nach Integration und Anpassung sein kann, muss auch Paul Rusesabagine in „Hotel Ruanda“ erkennen. Als die Welt tatenlos zusieht, wie in seinem Heimatland Hunderttausende niedergemetzelt werden, zerstört sich sein Traum, durch westlichen Lebenswandel „dazuzugehören“. Wie allen Ruandern wird ihm verweigert, das Land zu verlassen: „Ich habe keine Vergangenheit“ muss er sich eingestehen.

Mit „Hotel Ruanda“ und seinen Verweisen auf die kolonialen Ursprünge der Migrationsströme schloss die nachdenkliche Filmnacht den Kreis um das Einwanderungsland Deutschland. Denn bereits zum Auftakt hatte „Auch Schildkröten können fliegen“ mit dem von Kurden bewohnten Nordirak den Blick auf eine Region gewendet, in der Flüchtlingsströme ihren Ausgang nehmen. Der iranische Regisseur Bahman Ghobadi soll die Dreharbeiten zu dem schlicht umwerfenden Streifen immer wieder unterbrochen habe, um Zeit zum Weinen zu finden.

Auch als Zuschauer hofft man, dass die Projektoren wenigstens für kurze Zeit aufhörten, die poetischen Bilder und ihren schockierende Inhalt auf die Leinwand zu werfen. Doch der Film endet erst, als amerikanische Soldaten in den Nordirak einmarschieren. Für die kurdischen Kinder kommen sie zu spät. Das Ende der Unterdrückung durch Saddam Husseins Soldaten bietet ihnen keine Befreiung von der Geschichte. Sie bleiben zurück, doch das Flüchtlingslager ist fast leer. „Hotel Ruanda“ endet – ungleich versöhnlicher – ebenfalls mit Bildern zehntausender Flüchtlinge. Ihr Leben ist gerettet, die Odyssee beginnt. Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

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