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Mit starker Ausdruckshand. Dirigent Antonello Manacorda im Studio mit der Kammerakademie Potsdam.

© Stefan Gloede

Kultur: Schubert, die Zweite

Die Kammerakademie Potsdam nimmt in den legendären Lichterfelder Studios auf

Stand:

„Ruhe! Aufnahme!“, warnt es signalrot vorm Betreten des großen Aufnahmesaales der Teldex Studio in Berlin Lichterfelde. Ganz leise dringen Schubertsche Töne von drinnen nach draußen. Als sie genauso wie der Hinweis auf ungestörte Arbeit erlöschen, öffnen sich die Türen ins Freie. Die Musiker der Kammerakademie Potsdam strömen zwecks Lockerung der angespannten Nerven und Muskeln in die große parkähnliche Gartenanlage, in der das Studio eingebettet liegt.

Ein idyllischer Ort, diese einstigen, seit 1892 existierenden „Lichterfelder Festsäle“. Die Festsäle waren eines jener legendären Etablissements, wie es sie im wilhelminischen Berlin zuhauf gab. Noch bis in die 1950er Jahre hinein konnte man sich am Wochenende dort vergnügen, während die Woche über im nunmehr zum exzellenten Aufnahmestudio umgebauten Saal die Tontechnikerteams von Telefunken, später Decca und Teldec ihres Amtes walteten. Als die Plattenfirmen kein Interesse mehr an diesem akustischen Klangjuwel zeigten, ergriffen Ex-Teldec-Angestellte die Initiative, machten sich als „Teldex“ selbständig – und einen Namen.

Bei dieser spätnachmittäglichen Aufnahmesitzung steht der Trioteil aus dem Scherzo von Schuberts 6. Sinfonie auf dem Programm. Es ist der zweite Teil einer geplanten Gesamteinspielung unter der Leitung ihres Chefdirigenten Antonello Manacorda, die erste Folge mit den Sinfonien 3 und 7 ist seit April auf dem Markt. Wie zu erfahren ist, wird die 6. Sinfonie innerhalb von nur drei Aufnahmesitzungen im Kasten sein. Und da soll Perfektion entstehen, selbst wenn für 20 Minuten Fertigmusik drei Stunden Aufnahmesitzung kalkuliert sind? Während Tonmeister Christoph Franke und Toningenieur René Möller zusammen mit Manacorda das zuvor Aufgezeichnete im Regieraum abhören, plaudert Oboist Jan Böttcher ein wenig aus dem Nähkästchen.

Man kenne die Sechste, habe sie oft gespielt, fühle sich nun reif für die Konserve. „Dabei spielen wir einen Satz in Gänze durch, nehmen ihn auf, hören ihn ab, besprechen interpretatorische Feinheiten für eine Wiederholung, wobei wir statt Schnipseln längere Passagen aufnehmen.“ Es sind sehr offene Gespräche mit dem Dirigenten, der sich nicht als diktatorischer Feldherr aufspielt, sondern als diskussionsfreudiger Partner begreift. Eine anregende Arbeitsatmosphäre. Warum er das Schubert-Sinfonie-Projekt in Angriff genommen habe? „Es ist interessant, wenn man sich mit einem Orchester Zeit nehmen kann, an einem Komponisten zu arbeiten. Schubert, dessen Werke noch immer mit Vorurteilen behaftet sind, ist eine wichtige Brücke zwischen Haydn und Kurtag, und ohne ihn gäbe es keinen Mahler“, bekennt Antonello Manacorda seine Liebe zum österreichischen Meister, in dessen Musik es „einen gewissen wienerischen Duft“ gäbe, den er zu ergründen suche. Nicht „rein, schön und gemütlich, kurzum: wie eine Minestrone“ dürfe er klingen, sondern „sehr direkt, akzentuiert und explosiv“. Nur so könne man seine vielen Schichten und Details entdecken. Mit seinen geplanten Einspielungen hofft er Neuland zu betreten, denn es gibt bislang „keine Komplettaufnahme unter einem Nichtbarockdirigenten mit einem modernen Kammerorchester, das in einer Mischung von neuen und alten Instrumenten spielt“.

Nach der Pause wird extrem dynamisch gespielt. Die Tuttischläge kommen wie Hammerschläge, genau auf den Punkt. Die Spannung des Musizierens wird fast körperlich spürbar. Dem per Lautsprecher übermittelten Lob aus der Regie folgt das „aber“: „Bei Takt 41 geht das ‚cis‘ im Forte unter, vier Takte nach 83 ist der Kontrast nicht krass genug.“ Der Dirigent nimmt es zur Kenntnis, probt die Änderungen und teilt den Unsichtbaren unmissverständlich mit: „Es werden keine kleinen Takes aufgenommen, sondern das Trio komplett.“ Was nichts anderes bedeutet, als sich wieder unter Hochspannung zu setzen, damit später beim Zusammenbasteln die Anschlüsse passen. „Super, so frisch wie der erste, aber...“ Es geht erneut um Akzente, unordentliche Intonation und dergleichen. Wieder alles von vorn.

Manacorda steigt auf die Zehenspitzen, die linke Hand reckt sich gen Himmel, eine vibrierend gespannte Körpergerade. Und so werden allmählich die letzten Stolperstellen beseitigt, bis das Ergebnis auch die kritischen Tonarbeiter überzeugt. Was die 20 Aufnahmemikrofone, darunter viele der berühmten Neumann-Fabrikate, an Signalen aufnehmen, geht durch Mikro-Vorverstärker, wird digital umgewandelt und auf 24 Spuren aufgenommen. Und was hat der Tonmeister währenddessen noch so gemacht? „In der Partitur nicht nur mitgelesen, sondern alle Hinweise akribisch in die Noten geschrieben, damit man weiß, wo was geblieben ist, wo die Balance oder Intonation stimmte und wo nicht – wichtige Details für das spätere Schneiden und Abmischen.“ Peter Buske

Peter Buske

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