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Kultur: Schwarz ist so bunt

Eine weitere Premiere am Hans Otto Theater: „Der Barfußkönig“ im Jungen Theater

Stand:

„Schwarz ist das Licht“, haucht es aus den Boxen. Die Zuschauer sitzen im Dunkeln und lauschen der Stimme aus dem Off. Ernst erst, dann immer verrückter kitzelt sie unsere Ohren mit sonderbaren Schattierungen der Farbe Schwarz, bis alle anfangen zu kichern. „Grauschwarz, Grünschwarz, Graugrünschwarz, Daumennagelschwarz, Schwarzfahrerschwarz, Afrikaschwarz...“ Vor unseren Augen wabert eine grau-weiß-schwarze Videoprojektion, bis wir tatsächlich nicht mehr wissen, ob das, was wir bis eben noch für Schwarz hielten, auch wirklich Schwarz ist. Die Schauspieler sind noch gar nicht erschienen, und doch sind wir schon mittendrin im Herzen des „Barfußkönigs“: „Schwarz ist so bunt!“

In das fast meditative Dunkel des Stückanfangs hinein platschen die drei Protagonisten, die Autor Erik Schäffler nur „Schauspieler“ nennt. Mit einem Ruck wird das Publikum in die Gegenwart und damit in Matthias Schallers wunderbar vielseitige Schwimmbad-Bühne in der Reithalle A befördert. Blaue Fliesen, Schließfächer aus Metall: eine Umkleidekabine. Hier treffen sich die drei Freunde (Peter Wagner, Carsten Kochan und Jenny Weichert) nach dem Schwimmen. Sie trocknen sich ab, ziehen sich um, sticheln, tollen. Dann hat jemand eine Idee: „Wollen wir Afrika spielen?“ Schnell merken die drei, dass sie ein Problem haben: Keiner kennt die Regeln für das neue Spiel „Afrika“. Wo anfangen? Bei „Affenhitze“? Oder beim „meterhohen Gras“? Am spannendsten ist „Barfußkönig“. Das soll ein König sein, der kein Land hat, keinen Besitz und keine Armee. Seine Krone ist eine Badekappe und sein Zepter ein Schnorchel. „Das ist doch kein König“ jammert der, der ihn spielen soll (Peter Wagner). Seine Freunde aber erklären dem erst unwilligen König die Regeln: Demut, Lob und Milde statt Kriegen und Gewalt. Armut statt Stretchlimousine und Palmenwedel. Geschichten sollen ihm – und uns – helfen zu verstehen, wie das geht. Etwa die von dem Löwen, der einst König über alle Tier war und allein durch seine körperliche Überlegenheit regierte. In Sekunden verwandelt sich Carsten Kochan vom Ratgeber des Barfußkönigs in einen massigen, mit einer Wasserpistole erschreckend aggressiven Löwen, Peter Wagner in einen schmierigen Schakal und Jenny Weichert in eine böse kichernde Hyäne. Die drei jagen gemeinsam um die Schließfächer, aber anstatt die Beute gerecht zu teilen, bekommt der Löwe alles und frisst dazu seine Mitjäger. So soll der Barfußkönig nicht regieren. Er soll schlichtend eingreifen, vermitteln: „Verdamme nicht, lobe. Und wenn du nicht kannst, schweige!“

Dafür, dass die Geschichte eigentlich aus der Perspektive von Kindern erzählt wird, ist sie ganz schön weise – man spürt den erwachsenen Autor hier und da, obwohl die wendigen Schauspieler Dank der rasanten, auf Brechung und Humor setzenden Regie von Sebastian Wirnitzer mit Haut und Haaren unermüdlich und oft erfolgreich gegen die Zeigefinger-Momente im Text anspielen. Eine übermütige, Trommel-untersetzte Geschichte entspinnt sich, in der ungeduldigen Logik von Kinderspielen zwischen verschiedenen Erzählungen hin und her springend. Als Erwachsener mag man den rasanten Wechsel zwischen den Ebenen – von den Kindern zum König, zur Tierwelt – leicht verwirrend finden. Aber die Kinder ließen sich einfach vom Moment, vom kraftvollen Spiel der Darsteller einfangen.

Zudem hört „Der Barfußkönig“ nicht auf, wo seine politische Utopie beginnt. Das Stück weiß, dass Afrika eher für Bürgerkriege denn für Friedensutopien steht und will den Kindern dieses Bewusstsein nicht vorenthalten. Bei aller spielerischen Clownerie spart „Der Barfußkönig“ nicht mit teils karikierenden, teils erschreckenden Bildern von Gewalt. In Afrika gibt es eben nicht nur Mythen, hohes Gras und wilde Tiere. Sein Schwarz hat viele Farben. In dieser Ehrlichkeit, dem Wissen, wie fragil, fern und bei alledem notwendig der Traum vom Barfußkönig ist, liegt die politische Energie des Stückes. Eine weitere erfrischend Schubladen-inkompatible Inszenierung des neuen „Jungen Theaters“. Lena Schneider

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