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Kultur: Schweben und Schwelgen – im Polkarhythmus Faschingslaunige „Klassik am Sonntag“

Die Wiener Operette sei schlechter als ihr Ruf? Wilhelm Matejka, gebürtiger Wiener, alpenländischer Musikwissenschaftler und jetziger Chefredakteur vom rbb-Kulturradio, muss es ja wissen.

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Die Wiener Operette sei schlechter als ihr Ruf? Wilhelm Matejka, gebürtiger Wiener, alpenländischer Musikwissenschaftler und jetziger Chefredakteur vom rbb-Kulturradio, muss es ja wissen. Kitschig sei sie, sagt er, banal, anbiederisch und Werbung für die k.u.k. Monarchie betreibend. Mag ja alles stimmen, schön klingt sie trotzdem. Bei einem „Klassik am Sonntag“-Konzert konnte sich ein erwartungsfroh gestimmtes Publikum im ausverkauften Nikolaisaal davon ein eigenes (Hör-)Bild machen. „Alles Walzer!“ verheißt die Offerte, was einer glatten Fehlinformation gleicht. Stattdessen gewinnen Polkas und Märsche die Oberhand. Nur zwei Nummern erweisen sich in Gänze als Tänze im Dreivierteltakt, in einer Ouvertüre (zum „Zigeunerbaron“ von Johan Strauß jr.) sind walzerselige Anklänge auszumachen.

Die erklingt zu Anfang, schwungvoll und gebührend schmissig bis sentimental von den Brandenburger Symphonikern unter Michael Helmrath musiziert. Man schwebt und schwelgt im Walzerrhythmus, setzt an den richtigen Stellen die winzig-wichtigen Zäsuren gleich Atemholern, beweist damit viel Fingerspitzengefühl für das unterhaltsame Metier. Es ist die Art ihres freundlichen Musizierens, das einen für die Brandenburger Musiker einnimmt.

Faschingslaunig, so es im Brandenburgischen überhaupt möglich ist, geht es dabei zu. Der Moderator erweist sich als anekdotenverbreitender Charmeur, der nicht anbiederisch, dafür pointiert und souverän die einzelnen Nummern ansagt und manch Wissenswertes unter die Leute bringt. Die Musiker tun“s auf ihre Weise. Sie kosten die musikalischen Feinheiten genüsslich aus, lieben und pflegen ein weiches Klangweben, auch wenn es galoppierend oder marschmäßig durch den (Noten-)Parcours geht. Sehr bodenständig spielen sie die „Annen-Polka“, deren Gesangsvariante als „Schwipslied“ bekannt ist. Sentimental, wie es sich für eine Polka mazur geziemt, erklingt die „Fata morgana“. Der orientalischen Tanzabteilung entstammt auch der „Ägyptische Marsch“, den man als eine Art veredelter Janitscharenmusik spielt, die sich in martialischer Gebärde mit Eunuchengesang (durch die Musiker) gefällt.

Doch nicht nur Johann Strauß jr., sondern auch Bruder Josef darf mit zwei Polkas („Die Emancipierte“, „Plappermäulchen“) schwungvoll sich zu Wort melden. In Franz von Suppés Ouvertüre zur „Leichten Kavallerie“ kann das kernige Blech aus allen Rohren schmettern. Dann endlich darf sich ein langsamer Walzer („Komm mit mir ins Chambre séparée“, eine Arienadaption aus Richard Heubergers Operette „Der Opernball“) gefühlvoll ausbreiten. Zum Finale des hörvergnüglichen Nachmittags machen die walzergefällig dahinschwebenden „Morgenblätter“ dem Konzertmotto alle Ehre. Doch die entstammen wiederum der Feder von Johann Strauß jr., der mit „Pizzicato-Polka“, „Banditen-Galopp“ oder der heurigenseligen Polka francaise „Im Krapfenwaldl“ (mit genüsslich ausgekosteten Kuckucksrufen und anderem Vogelgezwitscher) weitere Erzeugnisse seiner schier unerschöpflichen Notenfabrik liefert.

In der Pause bittet das Salonorchester der Brandenburger Symphoniker zum Tanz im Foyer. Wer hätte es gedacht: auf dem Tanzparkett drehen sich die Paare im Dreivierteltakt. Was dem Nikolaisaal beweist: auch nach solcher Tanzmusik und ihrer „authentischen Rezeptionsgeschichte“ (Matejka) steht den Potsdamer Musikfreunden der Sinn. Fazit: Fortsetzung erwünscht. Wer es beschaulicher mag, labt sich indessen an Kaffee und Kuchen. Mit ein wenig Phantasie fühlt man sich wie in einem Wiener Kaffeehaus. Und nach stürmisch gefeiertem Konzertfinale nebst herbeigeklatschen Zugaben („Seufzer-Galopp“, „Radetzky-Marsch“) kann man noch einmal das Tanzbein schwingen. Peter Buske

Peter Buske

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