Von Lena Schneider: Schweine im Frack
Markus Dietz versucht sich an Tschechows „Iwanow“ als Knallbonbonkomödie
Stand:
Starker Tobak, dieser Mann, dieser Iwanow. Da hat seine Frau für ihn ihre Familie verlassen, und die Religion dazu, hat sogar ihren Namen geändert. Und jetzt, fünf Jahre später, hat er die Nase voll. Nicht nur von ihr, am meisten wohl von sich selbst: die erste Jugend vorbei, hoch verschuldet, vom Leben träge geworden. Seine Frau Anna war damals jung, gesund und verliebt; jetzt ist sie immer noch verliebt, ein bisschen weniger jung und gar nicht mehr gesund. Bei Tschechow ist es Schwindsucht, in der Inszenierung von Markus Dietz am Hans Otto Theater ist es Krebs, vermutlich Brustkrebs, was zu dem „Running Gag“ führt, dass der verliebte Arzt (Wolfgang Vogler) seiner Patientin Anna (Franziska Melzer) immer wieder mit beiden Händen an die Brüste greift.
Starker Tobak eben, wie Iwanow selbst. „Nehmen Sie sich bloß keine Jüdin zur Frau“, sagt er, „nehmen Sie sich eine normale“. Oder, ähnlich abwertend über Frauen allgemein: „Ihr versaut die menschliche Rasse“. Auch sonst gibt Tschechow in seinem frühen Stück „Iwanow“ wenig Grund, seinen Antihelden zu mögen. Ein verzagter, lustloser Bursche, ein Adliger, der auf einem Gutshof in der Provinz feststeckt und sich – wie alle um ihn – schrecklich langweilt. Einer, der durch „nichts bemerkenswert“ sei, hat der Autor selbst über ihn geschrieben.
Wie macht man so einen Niemand für die Bühne interessant? Wie zeigt man glaubwürdig, warum er bei aller Weltverdrießlichkeit nicht nur von seiner todkranken Frau nach wie vor vergöttert wird, sondern auch von dem jungen Mädchen Sascha? Markus Dietz hat sich dazu offenbar zweierlei gedacht: Zum einen lässt er René Schwittay Iwanow nicht als verzagten Intellektuellen spielen, sondern als einen von Wut und Selbstverachtung Geschüttelten. „Ich bin eine Axt“, sagt er, und tatsächlich ist er einer, der auch mal zuhaut, ein Iwanow mit Aggressions- und Schurkenpotenzial. Warum auch nicht, nicht jeder Iwanow muss ein selbstmitleidiger jugendlicher Greis mit hängenden Schultern und Vollbart sein wie Samuel Finzi 2005 an der Berliner Volksbühne. Das Problem der Inszenierung liegt woanders. Dietz hat sich, zweitens, offenbar Mut zur Komödie vorgenommen. Alles nicht so ernst nehmen, keine Angst vor Eindeutigkeiten! Für die Schauspieler, die alle mit Lust und Kraft bei der Sache sind, könnte die Anweisung gelautet haben: Vergesst das Zwischen-den-Zeilen-Ding, vor allem bitte laut und deutlich!
Das gilt vor allem für die Gesellschaft, in der Iwanow sich bewegt. Die da wären: Die Lebedjews, zu deren geselligen Abenden Iwanow aus der heimischen Einöde flüchtet, allen voran Andrea Thelemann als Mutter Sinaida Sawischna, ein Geizkragen, charmant zu den Gästen, kühl zu ihrem besoffenen Gatten (Bernd Geiling), und im Wechsel zwischen beiden Extremen sehr virtuos. Bernd Geiling als Lebedjew ist im gestreiften Anzug schon optisch eine Witzfigur und lässt als betrunkener Narr durchblicken, dass er sich in der Gesellschaft auf zynische Weise eingerichtet hat: „Ich bin wie alle hier – ein Schwein im Frack“. Tochter Sascha (Elzemarieke de Vos), die zu Iwanow in Liebe Entbrannte, ist erst ein in Goldschleife gewickelter Wirbelwind, im letzten Akt dann eine tatsächlich sehr tragikomische Beinahe-Braut.
Und Jon-Kaare Koppe als Onkel Iwanows ist ein lebensfroher Lustmolch, der zu Anfang unter der heruntergelassenen metallig-grauen Bühnenwand hängen bleibt, unter der sich die Auftretenden hindurchzwängen müssen. Ein Gag, der sich wiederholen wird. Im Verlauf des Abends wird diese Wand (Bühne Ines Nadler) zum Mitspieler: Sie kann sich senken und als Plattform dienen, als Dach über der Szene schweben und angeschrägt als Rampe in den Raum ragen. Besonders pfiffig ausgedacht sind ihre zwei Seiten: Die Rückseite der Granitwand ist mit 96 Leuchtstoffröhren ausgestattet, die voll ausgeleuchtet einen, nun ja, „blendenden“ Effekt erzielen können. Genau, Licht und Schatten. Und dann? Um aus dem Gegensatz mehr als einen klischeehaften Allgemeinplatz werden zu lassen, hätte es eines subtileren Regiezugriffs bedurft.
Die Langeweile dieser Gesellschaft wird vor allem durch den Text behauptet. Auf der Bühne hingegen drischt Walzermusik aus den Boxen und man tanzt, trinkt, unterhält sich bestens – den „ööööde, öööööööööde“-Ruf, den die reiche Witwe Babakina (Meike Fink) zwischendrin kokett ausstößt, will man ihr nicht glauben. Von Langeweile keine Spur. Das Düstere ist allein René Schwittay als Iwanow überlassen: In der Gemeinde bunt Feiernder steht er am Rand und grummelt. Einer gegen alle! Damit das auch keinem entgeht, hat Dietz der Feiergemeinde ein Dutzend Statisten in hübschen Knallbonbonkostümen beiseite gestellt. Das ist ebenso überflüssig wie die Klaviermusik, die über die Szene tropft, wenn es ernst wird. Und es wird tatsächlich ernst: Kurz bevor Iwanows Frau Anna stirbt, tragen die beiden einen Streit aus, ihren letzten. Iwanow reißt sich die Kleider vom Leib und steht in Unterhosen da, nackt, verletzlich. Ja, was ist aus unseren Träumen geworden? Auch wenn Franziska Melzer als Anna die Bühne betritt und kurz so etwas wie Begehren zwischen den beiden aufblitzt, wenn die Lust, die die Sterbende am Leben hat, die Unlust des Weiterlebenden als lächerlich bloßstellt, dann ahnt man etwas von dem, was „Iwanow“ noch ausmachen kann. Davon, dass man die Übersättigung, die Trägheit des Iwanow auch als Diagnose einer Generation, einer Gesellschaft lesen könnte, ist hier erst recht nichts zu spüren. Dietz will die Knallbonbonkomödie und zwischendrin auch ein bisschen Drama des Einzelnen. Der Knalleffekt ist deutlich lauter.
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