Kultur: Seelenbeklemmend und verstandesbewegend
Doppel-CD mit Musik aus und für Ravensbrück
Stand:
Doppel-CD mit Musik aus und für Ravensbrück Als „Zeugnisse, die das ungeheuerliche Geschehen überliefern sollen“, verstand Ludmila Peskarova ihre Lieder. Sie, die ausgebildete tschechische Musiklehrerin, vertonte sie nicht in häuslicher Ruhe, sondern im Angesicht tausendfachen Todes. Mitte Oktober 1943 wurde sie per „Schutzhaftbefehl“ in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, zirka neunzig Kilometer nördlich von Berlin gelegen, eingewiesen. Was sie dort an erniedrigendem Lagerleben, über dem ständig der Rauch der Krematorien lag, erlebte, an Arbeitsausbeutung, an Kindesmisshandlungen, an Hunger, Kälte, Gewalt und Tod – all das brachte sie heimlich zu Papier. „Ich begann, die abscheulichen Eindrücke in Verse zu fassen, damit ich Dokumente hätte, wenn ich einmal aus dieser Hölle zurückkehren sollte.“ Sie überlebte Ravensbrück, auch dank der Musik, mit der sie sich und ihre Mitgefangenen tröstete, ihnen Mut zusprach. Sie sang mit den Strickerinnen patriotische Lieder ihrer Heimat, wenn sie unbewacht waren. Beim stundenlangen Stehen während der Lagerappelle habe sie „im Geiste gesungen“, erinnerte sich Ludmila Peskarova. „Wenn mir die Worte nicht einfielen oder der Text eines Liedes nicht das ausdrückte, was ich fühlte, habe ich meinen neuen, passenden Text unterlegt.“ In ihren Liedern verwendete sie alte tschechische Volkslieder, mit denen sich der Glaube an die Heimat und die Hoffnung, sie wieder zu sehen, am besten ausdrücken ließ. Musik als Überlebenshilfe. Traurig und einfach sind die Melodien der meisten Lieder, die von ihr komponiert wurden. Als bewegende Dokumente der Zeitgeschichte erklingen sie, von Zuzana Rasiova (Sopran) und dem Ensemble Neue Musik Bratislava schlicht und eindringlich vorgetragen, auf einer Doppel-CD unter dem Titel „Musik für Ravensbrück“. Dabei handelt es sich um den Mitschnitt des Konzerts vom 20. Juli 2003 in der ehemaligen Textilfabrik in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, einer emotionsgeladenen Veranstaltung von „Kulturfeste im Land Brandenburg“ e.V. Für das Booklet dieser verdienstvollen RBB-Einspielung (Redaktion: Astrid Belschner) hat Gabriele Knapp einen sehr informativen Text zu Ludmila Peskarova sowie zu Singen und Musizieren unter extremen Lagerbedingungen verfasst. Dem Teil „Musik aus Ravensbrück“ stehen Klänge aus heutiger Zeit gegenüber, die zum Gedenken an die Frauen von Ravensbrück als Auftragskompositionen der „Kulturfeste im Land Brandenburg“ geschrieben und uraufgeführt wurden. Fünf Tonsetzerinnen der verschiedensten Nationen setzen sich dabei auf stilistisch unterschiedlichste Weise mit der Lagerthematik auseinander. Und ausschließlich Frauen sind es auch, die sich den Werken mit besonderer Hingabe annehmen. „Lamentation“ nennt Diana Cemeryte (Litauen, geb. 1974) ihr zwischen Hoffnungslosigkeit, Trauer und Trost changierendes Streichquartett, das sie als Klangrose zum Gedenken niederlegt. Beklemmend eindrucksvoll wird es vom Tempera-Streichquartett gespielt. Jana Kmitova (Slowakei, geb. 1976) nannte ihre Ravensbrück-Erinnerung „Dych (Atem), das entsprechende Geräusche, Sprechen, Schreien, Befehle und Signalhaftes mit Gesang (Zuzana Rasiova) und durchdringenden Instrumentalattacken von Flöte, zwei Akkordeons und Klavier (Ensemble Neue Musik Bratislava) verbindet. Aziza Sadikova (Usbekistan, geb. 1978) deutet die Verse der Ravensbrückerin Cläre Rupp als „Entfernung“ – von der ersehnten Freiheit jenseits der Lagermauern. Kaum hoffnungsfroh klingt der Viola-Gesang (Kinga Maria Roesler), der überwiegend von Zerrissenheit, Kummer und Trauer bestimmt ist. In ihrem „Still life“ arrangiert Marianthi Papalexandri-Alexandri (Griechenland, geb. 1974) ein Stillleben aus klangverwandelten Objekten. Schmatzen und gierige Atemgeräusche lassen an Geschirr, von dem man isst, denken. Geräuschvolles Schnüffeln steht für Blumen... Das Blockflötenquartett „QNG 138“ zeigt sich den Performance-Aufgaben sicher gewachsen. Weronika Ratusinska (Polen, geb. 1977) lässt sich bei ihrem Streichquartett Nr.2 „Last Moments“ gleichfalls von Versen ehemaliger Frauenhäftlinge inspirieren, in denen Augenblicke des Protestes und des Abschieds sowie Teile aus dem Lagergebet beschrieben sind. Das Dafo-Streichquartett spielt diese Musik, bei der sich minimalistische Veränderungen (Melodie, Harmonie, Lautstärke, Rhythmik und Dynamik) unaufhörlich in die Seele und den Verstand schrauben. Der fragt im Hintergrundtext nach all dem Gewesenen: „Wie ist das nur möglich, wie kann das nur geschehen? Und wie kannst du nur, großer Gott, das mit ansehen?“ Peter Buske „Musik für Ravensbrück“, Doppel-CD. Live-Konzertmitschnitt aus der Mahn- und Gedenkstätte. Erhältlich bei Kulturfeste im Land Brandenburg e.V., Schloßstr. 1, 14467 Potsdam. 13 Euro.
Peter Buske
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: