Kultur: Segen und Fluch
„Aufarbeitungs-Jubiläen“ im Filmmuseum
Stand:
Sie sind schon bald nicht mehr zu zählen, die Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen allerorten, sobald eines der bekannteren Daten in der neueren deutschen Geschichte ein rundes Jubiläum erreicht hat. 2009 feierte man das 20-jährige Jubiläum des Mauerfalls, zugleich erinnerte man sich an die mit der Gründung der BRD auf der einen und der DDR auf der anderen Seite vor 60 Jahren erfolgte Teilung Deutschlands. Wird man 2013 vorrangig an die nationalsozialistische Machtergreifung vor 80 Jahren oder auch an den 60. Jahrestag des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 erinnern? Und wie wird es erst im Jahr darauf aussehen, wenn man Gedenkveranstaltungen zum Thema „100 Jahre Ausbruch 1. Weltkrieg“ wie auch „75 Jahre Ausbruch 2. Weltkrieg“ besuchen könnte? Ob diese historische Jubiläumskultur nun eher Segen oder Fluch darstellt, ob sich aus den vielen „Aufarbeitungs-Jubiläen“ eine Chance oder ein Problem bei der Geschichtsvermittlung ergibt, darüber unterhielten sich am Dienstagabend im Filmmuseum der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, Martin Sabrow, und Leiter des Arbeitsbereichs Wissenschaft und Internationale Zusammenarbeit bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Ulrich Mählert.
Es ist die mit knapp 30 Gästen eher mäßig besuchte Auftaktveranstaltung in der Reihe des Forums Neuer Markt Potsdamer Gespräche „Feste feiern – und Geschichte vergessen?“ und es ist auch tatsächlich mehr ein Gespräch denn eine Diskussion. Denn im Prinzip sind sich beide Wissenschaftler ja einig. Zunächst einmal darin, das Thema der „Geschichts-Jubiläen“ in einen größeren Kontext zu betten und nicht allein, wie es im Flyer steht, auf die recht überschaubaren „DDR-Aufarbeitungs-Jubiläen“. Dass man jedwede Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen zuallererst als große Chance überhaupt begreifen muss, da hier wirksamer als sonst die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit für historische Prozesse geweckt wird, auch darin stimmen Sabrow und Mählert überein. Jedoch weisen beide auch auf die Gefahren dieser „Jubiläumskultur“ hin, fördere diese doch eine konservative, recht oberflächliche Auseinandersetzung mit der Geschichte, so Sabrow, der noch des Öfteren den Finger auf die Wunde legt. So wie sich eine Erinnerungskultur nicht verordnen lässt, so ist es auch nie ganz vermeidbar, wenn für ein eventfähiges Jubiläum zwei Geschichtsdaten gegeneinander ausgespielt werden, wie im Jahr 2009 mit dem Mauerfall und der deutschen Teilung. Viel fataler ist jedoch, dass Jubiläen generell bestimmte Ereignisse privilegieren und dafür andere in den Hintergrund drängen. Warum beispielsweise die Geschehnisse um 1989 so gewaltlos verlaufen konnten, darüber wurde während des 20-jährigen Mauerfall-Jubiläums nur wenig nachgedacht, gibt Sabrow zu bedenken, und Mählert hat deshalb auch seine Zweifel, Jubiläen überhaupt in die Konzeptsetzung historischer Institute aufzunehmen. Es wäre fatal, gingen die Forschungsimpulse von Gedenk- und Erinnerungsveranstaltungen aus. Insgesamt also wenig überraschende Aussagen von zwei Historikern, die wie zum Beweis eines guten konstruktiven Miteinanders dann immer wieder beherzt und um fachwissenschaftliche Termini nicht verlegen über die Schwerpunkte und Zielsetzungen ihrer jeweiligen Arbeit berichten. Aus dem Publikum gibt es auch hierzu so gut wie keine Fragen.
Nach diesem gut einstündigen Expertengespräch wird schließlich noch die Defa-Komödie „Sonntagsfahrer“ von 1963 gezeigt. Ein satirischer Beitrag zu Mauerbau und Fluchtversuch aus einem Land, das als Paradies dargestellt wird. Es ist ein besonders zynisch wirkendes Stück DDR-Propaganda, ein interessantes, aber leider unkommentiert gelassenes Filmdokument, das sich einige Gäste dann noch ansehen. Daniel Flügel
Daniel Flügel
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: