Kultur: Sehnsucht nach verlorener Schönheit
„Il Ponte“-Konzert für Manfred Schubert
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Gewöhnlich erhalten Jubilare Geschenke. Diesmal ist’s umgekehrt, schüttet der Berliner Tonsetzer Manfred Schubert, langjähriges Mitglied der Brandenburgischen Gesellschaft der Freunde Italiens „Il Ponte“, anlässlich seines 70. Geburtstages den „Brückenschlägern“ das Füllhorn aus. Coram publico, denn der Komponist bemerkte in seiner launigen Moderation: „Musik ist und bleibt eine öffentliche Angelegenheit“. Der Theatersaal im Alten Rathaus bot ihm bei seinem musikalisch-literarischen Programm die Möglichkeit, seiner „Sehnsucht nach dem Bild verlorener Schönheit“ zu frönen. Wie nicht anders zu erwarten, suchte er sie in jenem Land, wo spätestens seit Goethe die Zitronen blüh’n.
Dieser Italien-Bezug fand sich von Anfang bis Ende, auch wenn man es auf den ersten Blick hin nicht vermutete. Mit „Idyll und Illusion Arkadien“ stimmte der Dichter Manfred Schubert auf das Vorhaben ein. Was ist aus dem Traumort geworden ?, Die durch Augenschein erhärtete Ernüchterung teilte sichdem Publikum unmittelbar mit. Ungeschönte Berichte von verlorener Schönheit halten auch Sieben Sonette für mittlere Stimme und Klavier unter dem Titel „Zweite Romantik“ bereit.
Die Texte dazu entnahm er seinen beiden Gedichtbänden „Muse und Metier“ sowie „Blaues Haus auf rotem Grund“. Die Vertonungen jener „strengsten Form abendländischer Dichtung“ sind wahrlich kein Schubert/Brahms-Verschnitt, sondern echter Schubert – Manfred. Er versuche, betonte der Komponist, wieder Verbindlichkeit und Sinn in die Musik zu bringen. Dabei seien ihm geräuschhafte Klangspielereien suspekt.
Die Ohren nahmen Bekenntnis wie klangliche Realisierung dankbar auf. Vorgetragen wurde der Liederzyklus von Bariton Siegfried Lorenz – an einem Rednerpult, ein Verfremdungseffekt von geradezu Brechtscher Größe. Der simple Grund? Eine sichere Lagerfläche für die Notenbögen im A-3-Format! Mit seiner kraftvollen, markanten Stimme, die über die Dezennien hinweg nichts von ihrer lyrischen Leichtigkeit und gestalterischen Intensität eingebüßt hat, trug er die erfreulich sängerfreundlich gesetzten Vertonungen vor. Manche tonmalerischen Effekte (zirpende Zikaden, Nachtigallenschlagen) und verfremdete Schubert (Franz)-Zitate sowie Anleihen bei Eisler und der Zweiten Wiener Schule gab es dabei zu entdecken. Der Klavierpart gibt sich oftmals perkussiv, von Göbel im partnerschaftlichen Zusammenwirken mit Lorenz vorzüglich gemeistert.
Diesem Plädoyer für eine zweite Romantik folgte nach der Pause die Hinwendung zur ersten. Eröffnet wurde sie mit „Drei Petrarca-Sonette“ von Franz Liszt, in denen Andreas Göbel die liedhafte Grundidee trotz reichen pianistischen Beiwerks schätzenswert auszuforschen verstand: er nuancierte den Anschlag, ließ viele Farben leuchten, spielte kantabel, weich klingend und mit viel Pedal, dann wieder vollgriffig, arpeggienreich und energisch. Auch bei der Begleitung von Hugo Wolfs „Michelangelo-Gesängen“ zeigte sich Göbel ganz von seiner mitgestaltenden Seite, die dem emotionalen Tiefgang des Sängers und das seinige auf den Tasten hinzu gesellte.
Zuvor trug Manfred Schubert subjektive Impressionen in Gedichtform „Sardischer Herbst“ vor, ehe er abschließend mit „Esde Hafis“, einem Canto aleatorio für Klavier solo, das letzte (Klang-)Wort hatte. Dabei gewann sich der Komponist aus dem Namen des legendären persischen Dichter al Hafis eine halbe Zwölftonreihe, aus der sich der Zusammenprall von Orient und Okzident entwickelt. Hier hämmernde, brutal gemeißelte Klangblöcke, dort ziselierte, lautengleiche Klangflächen – ein kontrastbetontes Spiel der Kräfte.
„Liszt auf modern“, sagte dazu selbstbewusst der Komponist. Auch mit Siebzig ist man keineswegs leise. Der Beifall auch nicht.Peter Buske
Peter Buske
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