Kultur: Shalom Potsdam
Jüdische Balladen mit Hintergrund: Sängerin Nizza Thobi im Alten Rathaus
Stand:
Geboren ist die Sängerin mit den glänzenden schwarzen Haaren in Jerusalem, sie lebt aber schon 30 Jahre in München. All ihre Lieder sind jenen Menschen gewidmet, die durch den Holocaust ihr Leben verloren haben. Entsprechend düster war auch die Stimmung, in die die kleine Zuhörerschar am Freitagabend im Alten Rathaus versetzt wurde. Nicht nur, dass der Konzertsaal sich für Liederabende nur bedingt eignet, es war dazu noch frostig kalt in dem großen Raum. Auch fehlte der Wein, denn Nizza Thobi wollte – es war ja Shabbat – eigentlich in der Pause mit ihrem Publikum feiern. Die Gäste aber hatte dann keine andere Möglichkeit, als durch die hohen Hallen zu wandeln und darauf zu warten, dass es weiterginge.
Nizza Thobi bietet nicht nur Lieder, die mit dem publikumswirksamen Klezmer gar nichts zu tun haben, sondern Vertonungen von Gedichten jüdischer Dichter sind. Sie erzählt auch das Leben dieser Menschen und zeigt dazu Dias. Zuerst sah man auf ein Ölbild-Porträt eines jungen Mannes, dessen schwarzen Haare fast dreadlockartig in die Luft standen und der gedankenverloren nach links schaute. „Dies ist Itzik Manger“, sagte Nizza Thobi und sang gleich das „Abendlied“ des „Prinzen der jüdischen Ballade“, das auch in den Stil ihrer Lieder einführte: melancholische, von ihrer dunklen, ausdrucksstarken Stimme getragene, manchmal sogar in Sprechgesang fallende Chansons, in denen nur selten die bekannte Fröhlichkeit des klezmerschen Rhythmus aufschien. So wurde es denn ein programmatischer, aufklärerischer Abend, der durch die in Erinnerung gerufenen Schicksale der Opfer der Naziherrschaft recht schwer wurde. Am Flügel wurde Nizza Thobi, von Peter Wegele begleitet, die Geige spielte die Ungarin Nora Farkas. Beide Instrumentalisten agierten virtuos und zurückgenommen zugleich. Leider war es durch die Mischung aus Gesang, Dia-Vortrag und Gespräch, das sich häufig als Frage-Antwort-Spiel gestaltete, nicht möglich, sich der Stimmung der Lieder hinzugeben.
Wie eine strenge Lehrerin fragte Thobi zum Beispiel: „Woran erinnert Sie diese Brücke? – Ich höre nichts! Aber das ist doch die Brücke, die über das jüdische Getto in Warschau führte und die Polanski im ,Pianisten“ zeigte“. Oder: „Wann wurde Israel gegründet? – Richtig 1948!“. Das Publikum fühlte sich, wenn es nicht gekommen war, um sich belehren zu lassen, nicht immer wohl. Auch fragte sie nach Yad Vashem, und ob man schon einmal Israel besucht habe. Sie zeigte Zeichnungen und Fotos von Wilna, das einmal eine große jüdische Kultur hatte. Als Nizza Thobi die Matthausen-Kantate von Mikis Theodorakis sang, kam dank der gefühlvollen Musik neben der Traurigkeit und durchaus berechtigten Anklage auch so etwas wie Euphorie auf.
Die Sängerin machte auf viele Personen aufmerksam, wie auf Petr Ginz, den begabten tschechischen Juden, der sowohl malte als auch Tagebuch schrieb, bevor man den 16-Jährigen ermordete. Das Tagebuch wurde erst kürzlich wiedergefunden und gedruckt. Oder aber auf den Dichter Jitzik Katzenelson, der in Auschwitz getötet wurde und dessen Gedichte Ruth Adler von Vittel aus in einem Koffer nach Israel brachte. Das Foto zeigte einen sehr klaren, wohl hellsichtigen Menschen, dessen Augen skeptisch in die Kamera schauten. Angesichts all dieser konkreten Schicksale wurde einmal mehr die Unfassbarkeit des Holocaust deutlich.
Am Ende der dreistündigen Veranstaltung sollten dann alle zusammen ein jüdisches Lied singen, das jedes Kind in Israel kennt. Allerdings war es den Hebräisch-Unkundigen schwer, das Elieli-Chanson laut zu intonieren. Immerhin entstand so aber eine Art Gemeinschaftsgefühl und Nizza Thobi verabschiedete sich von Potsdam mit „Shalom“.
Lore Bardens
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: