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Kultur: Shanghai-Jazz

Uli Gaulke kam zum Filmgespräch ins Thalia

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Den Jazz, sagt Zhengzhen Bao, liebe er über alles. „Ohne Leidenschaft funktioniert er nicht und erst recht nicht als Job.“ Zusammen mit fünf Kollegen steht er jeden Abend auf der Bühne des altehrwürdigen „Peace Hotel“ in Shanghai. Von dort schmettern Pianist Jingyu Zhang (73), Kontrabassist Mingkang Li (77), Saxophonist Jibin Sun (80), Altsaxophonist Honglin Gao (71), Trompeter Mengqiang Lu (53) und Schlagzeuger Zhengzhen Bao (93) ihre Versionen von Glen Miller oder Nat King Cole mit Charme und Verve dem Publikum entgegen. Nicht jeder Ton trifft. Aber sie sind die älteste Jazzband der Welt, die „Peace Old Jazz Band“, die Uli Gaulkes neuer Dokumentarfilm „As Time Goes By in Shanghai“ porträtiert. Am Donnerstagabend war der Film mit dem vielschichtigen Titel im Thalia im „Aktuellen Potsdamer Filmgespräch“ zu sehen, das – wie üblich – Jeannette Eggert moderierte. Allerdings: Dieses Mal stellte sie die Fragen ihrem Ehemann.

Die Quartiere der Bandmitglieder liegen im alten Shanghai, das, unter die neuen Wolkenkratzer geduckt, die Spuren der Geschichte bewahrt. Auch die Musiker, die von der japanischen Besatzung über die Kulturrevolution bis hin zur Öffnung Chinas gen Westen alle geschichtlichen Ereignisse mitgemacht haben, tragen die Spuren der Epoche. „Wir haben viel durchgemacht, aber wir schauen nicht zurück. Wir schauen nach vorne“. Das sagt „der Alte Sun“ und meint damit vor allem die Zeit der Kulturrevolution, in der er deportiert wurde und Jazz oder Klassik auch nur zu hören verboten war.

Es reizte Uli Gaulke, die Geschichte Shanghais aus der Perspektive der seit dreißig Jahren dort spielenden Band zu erzählen. Dazu begleitete er sie auch auf ihrer Reise nach Europa, zum North Sea Jazz Festival in Rotterdam.

Entstanden ist ein Film, der nicht nur viel von dem lebensbejahenden Humor der alten Gentlemen auf die Kinoleinwand transportiert, sondern in dem auch vieles angerissen wird: die chinesische Kultur, die kommunistische Kulturrevolution, die Lebensgeschichten der Bandmitglieder. Für Gaulke ist der Film ein Ausschnitt, der vom Betrachter weitergedacht und im Kopf mit eigener Erfahrung ergänzt werden kann. „Ich sehe den Film als Anstoß, der Kultur näherzukommen“, sagte er. „Es ist auch der Versuch, Empathie aufzubauen für diese doch sehr fremde Kultur und das Volk.“ Ein Zuschauer, der die große Nähe zu den Protagonisten und die Behutsamkeit lobte, mit der die Äußerungen der Musiker über ihr schmerzhaftes Erleben vermittelt werden, bestätigte ihn.

Und Uli Gaulke erzählte noch viel mehr: von seiner Arbeitsmethode und den Bedingungen des Drehs, aber auch von den Reaktionen junger Chinesen in Europa, die die Geschichte ihrer Großeltern während der Kulturrevolution nicht kennen. Denn: Das Thema ist in China tabu. Seine vergnügliche Vision, später selbst 85-jährig im Altersheim noch Filme zu drehen, gab dem Abend einen optimistischen Ausblick. Gabriele Zellmann

Gabriele Zellmann

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