Kultur: Sich öffentlich „blank“ machen
Kurt und Michael Sanderling im Gespräch bei der Kammerakademie Potsdam
Stand:
„Auf das Handwerk kommt es nur minimal an“, sagt Kurt Sanderling, einer der bedeutendsten Dirigenten des zwanzigsten Jahrhunderts. Viel wichtiger sei die Bereitschaft, sich öffentlich blank zu machen. Es war eine glückliche Idee der Kammerakademie Potsdam, zum Gespräch mit ihrem neuen Dirigenten Michael Sanderling und dessen Vater Kurt Sanderling ins Foyer des Nikolaisaals zu bitten. Das von Danuta Görnandt moderierte Gespräch führte locker durch sieben Jahrzehnte Dirigierleben von Kurt Sanderling. Sein Sohn Michael Sanderling steuerte einige Gedanken, vor allem aber Musik bei. Dafür hatte der junge Sanderling Stücke ausgewählt, die sein Vater nicht kennt und andere, die er liebt. Man konnte überrascht sein.
Das meiste von dem, was Kurt Sanderling erzählte, hatte man schon einmal lesen können, so in seiner Biographie. Dennoch war es beeindruckend, den letzten der legendären Dirigenten des goldenen Jahrgangs 1912 live zu erleben. In seinen Berliner Jahren hat Sanderling noch selber berühmte Orchesterleiter wie Furtwängler, Kleiber und Klemperer gehört. Nach seiner erzwungenen Emigration im Jahr 1935 reifte er in der Sowjetunion zu einem anerkannten Dirigenten, ging schließlich 1960 nach Ost-Berlin und baute dort das Berliner Sinfonie Orchester zum musikalischen Aushängeschild der DDR auf. Nach seinem Rücktritt im Jahr 1977 wurde er zum gefeierten Gast bei den großen Orchestern in der ganzen Welt.
Von der Notwendigkeit des Dirigierens ist Kurt Sanderling fest überzeugt, schon allein aus praktischen Gründen, „Statt 14 Proben braucht man nur drei.“ Aber vor allem, weil es nur so eine geschlossene Interpretation geben könne: „Der Dirigent soll dieser Musik seinen Stempel aufdrücken.“ Wirklich authentisches Musik-Erleben finde daher nur im Konzertsaal statt. Die technischen Möglichkeiten bei der Aufnahme von Musik böten auch viele Betrugsmöglichkeiten. Die besondere Wirkung der Musik entsteht nach seiner Erfahrung erst im Konzertsaal gemeinsam mit den Zuhörern.
Für die Kritik gab es von seiner Seite verständnisvollen Spott. Der Kritiker habe eben keine Zeit, weder zum Lesen der Partitur noch zum Zuhören bei einer Probe und sein Urteil folge halt dem, was er gerne gehört haben würde, meint der Meister mit schalkhaftem Lächeln und fügt hinzu: „Wenn sie gut über mich schreiben, habe ich sie gerne.“
Auf seine enge Beziehung zu Nikolai Schostakowitsch angesprochen, setzt der agile Vierundneunzigjährige sich erneut für das häufig missverstandene Werk seines Freundes ein.
Am Spannendsten wurde der Abend durch die Musik, bei der man mehr über die musikalische Persönlichkeit von Sanderling senior erfuhr als im Gespräch. Sicher war es nicht leicht, ein Stück zu finden, das ein Musiker mit dieser Erfahrung noch nicht kennt. Doch Michael Sanderling präsentierte ein Klavierquartett von Salomon Jadassohn, einem Zeitgenossen von Brahms, aus dem er selbst am Cello und die kammerakademischen Kolleginnen Christiane Plath, Violine, und Kinga Maria Roesler, Viola, sowie die Pianistin Tomoko Takahashi den ersten Satz vorspielten. Der Kommentar des Vaters folgt umschweiflos: „Neben Brahms ist es natürlich ein bisschen schwach, aber wenn man Brahms vergisst, ist es schön.“
Für die Musik, die der Vater liebt, stand das Klavierquartett g-moll von Wolfgang Amadeus Mozart. In seiner Anlage schon fast ein Klavierkonzert, mit trotzigen Aufschwüngen, melodischen Modulationen und musikantischen Überraschungen birgt es zahlreiche Reize, denen die Musiker anmutig und spielfreudig Ausdruck verleihten. Als Antwort kam begeisterter Applaus vom Publikum und natürlich vom zufriedenen Vater des begabten Sprösslings. Babette Kaiserkern
Ein Mitschnitt des Abends wird am 26. September bei den „Märkischen Wandlungen“ vom Kulturradio RBB gesendet.
Babette Kaiserkern
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: