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So zeigt sie sich der Öffentlichkeit am liebsten. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe am Dienstag im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München.

© Andreas Gebert/dpa

Interview zum NSU: „Sie galt als Aktivistin, nicht als Mitläuferin“

Maik Baumgärtner hat ein Buch über das Zwickauer Terror-Trio geschrieben. Heute spricht er in Potsdam über die Aufklärung der NSU-Mordserie

Stand:

Herr Baumgärtner, was können wir wirklich von dem NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht um Beate Zschäpe und die Helfer des Zwickauer Terror-Trios erwarten?

Vor allem eine strafrechtliche Aufarbeitung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Doch der Prozess sorgte auch schon für Überraschungen. Die jüngsten Aussagen von Carsten S. zu einem mutmaßlichen Bombenanschlag des NSU 1999 in Nürnberg zeigen, dass es noch vieles gibt, was wir nicht wissen. Bleiben drei der fünf Angeklagten jedoch dabei zu schweigen, werden wir die ganze Wahrheit wohl nie erfahren.

Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte, gehört dazu und will in dem Prozess nicht aussagen. Werden wir also auch in Zukunft auf Spekulationen über die Menschen Zschäpe, Bönhardt und Mundlos, ihr Denken, ihre Motivation und ihr Handeln zurückgreifen müssen?

Bei aller Spekulation gibt es ja auch unverrückbare Tatsachen, die bei der Einordnung helfen. Nehmen Sie das NSU-Bekennervideo oder den sogenannten NSU-Brief, der Anfang der 2000er-Jahre an Unterstützer verschickt wurde. Diese Dinge geben einen – wenn auch kleinen – Einblick in die Gedankenwelt des NSU. Auch die Aussagen ehemaliger Weggefährten und mutmaßlicher Unterstützer runden manches ab. Doch ohne die Aussage von Beate Zschäpe werden wohl viele Fragen ungeklärt bleiben.

Wenn es um den NSU und seine Mord- und Terrorserie geht, wird vor allem das beispiellose Versagen der ermittelnden Behörden diskutiert. Im Rückblick erscheint ein solches Versagen fast immer unglaublich. Was ist damals bei den Behörden schiefgelaufen?

Das ist sehr komplex und nicht einfach zu beantworten. Ich teile das ganze in zwei unterschiedliche Abschnitte. Der erste ist die Zeit zwischen dem Abtauchen im Januar 1998 und dem ersten Mord im September 2000: Damals waren die Thüringer Behörden federführend und haben unzählige Fehler begangen. Asservate, wie etwa die Telefonliste von Uwe Mundlos, auf der mehrere Nummern späterer mutmaßlicher Unterstützer notiert waren, die die Fahnder zu dem Trio hätte führen können, wurden nicht richtig ausgewertet und Observationen von Kontaktpersonen viel zu kurz angesetzt. Um nur zwei zu nennen. Der zweite Abschnitt beginnt mit den Morden und Sprengstoffanschlägen und endet erst mit dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im November 2011. In dieser Phase kann man vor allem eines beobachten: institutionellen Rassismus. Nur wenige Beamte folgten nicht ihrem „Erfahrungswissen“, der Großteil suchte die Täter hauptsächlich im Umfeld der Opfer. Drogen, Glücksspiel, die Fahnder ließen nichts aus, um ihre Thesen bestätigt zu sehen. Auch nach Jahren ohne einen Erfolg.

Resultiert unsere Konzentration auf das behördliche Versagen vor allem aus dem Rätsel um Zschäpe, Bönhardt und Mundlos, das die drei ja noch immer sind? Denn im Grunde wissen wir kaum etwas über diese drei Menschen.

Die Konzentration auf das behördliche Versagen ist richtig und sehr wichtig. Aus den Fehlern bei der Polizei müssen praktische Konsequenzen folgen. Etwa in der Ermittlungsarbeit, der Polizeiausbildung, dem Umgang mit Opfergruppen. Da gibt es Handlungsbedarf. Und auch der Verfassungsschutz, dessen V-Männer auch im Umfeld der mutmaßlichen NSU-Unterstützer tätig waren, sollte in dieser Form nicht weiterarbeiten. Die Fehler wurden gemacht, mit schrecklichen Konsequenzen, jetzt wäre es an der Zeit zu reagieren.

Was sagt das über unsere Gesellschaft aus, wenn die drei 13 Jahre unbehelligt unter uns im Untergrund leben und in dieser Zeit neun Menschen umbringen konnten?

Der Umstand, dass die drei ihre Scheinidentitäten waren konnten, sagt erst Mal nicht viel aus. Wir haben den Opfern nicht zugehört, bereits 2006 demonstrierten Angehörige der Ermordeten und forderten „Kein 10. Opfer!“. Wir haben ein Problem mit Rassismus in unserer Gesellschaft, darüber sollte mehr berichtet werden. Und gerade wir als Medienvertreter sollten uns auch kritisch mit Behörden auseinandersetzen.

Zusammen mit Marcus Böttcher haben Sie im vergangenen Jahr das Buch „Das Zwickauer Terror-Trio. Ereignisse, Szene, Hintergründe“ herausgebracht. Wie nah sind Sie bei Ihren Recherchen Zschäpe, Bönhardt und Mundlos überhaupt gekommen?

Wir haben unter anderem in Jena, der Heimatstadt der drei, recherchiert, waren in Zwickau, Chemnitz, haben uns die Tatorte angeschaut. Dazu Gespräche geführt mit Aussteigern, ehemaligen Bekannten der drei, Sozialarbeitern und vielen anderen. In erster Linie ging es uns aber darum, auch das Umfeld zu beleuchten und eine Chronik zu erstellen, die den Komplex greifbar macht.

Wie haben Sie Informationen aus ihrem Leben im Untergrund erhalten?

Mit klassischen Mitteln. Vor Ort recherchiert, Interviews mit Aussteigern, Beamten, Opferfamilien geführt und Ermittlungsakten ausgewertet.

Sind Sie auf Schweigen oder doch auf Menschen getroffen, die darüber reden wollten?

Das war unterschiedlich, manche Leute wollten aus Angst nicht reden, da sie nicht namentlich im Zusammenhang mit dem NSU auftauchen wollten, andere, gerade in den Behörden, wussten spätestens im November 2011 um die Fehler, die sie bei der Fahndung gemacht haben und mauerten. Doch nicht pauschal, überall haben wir auch Leute getroffen, die reden wollten.

Waren Zschäpe, Bönhardt und Mundlos in ihrer Zeit im Untergrund für die Menschen in ihrer Umgebung letztendlich nicht auch nur ein Rätsel?

Nach allem, was man weiß, sind sie nie negativ aufgefallen. Eher im Gegenteil, sie hatten ihre Legenden und gerade Beate Zschäpe wurde von ihren Nachbarn, mit denen sie zum Teil in Kontakt stand, geschätzt. Es sieht so aus, als habe sie nie jemand tiefer kennenlernen wollen, die Fassade reichte aus.

Wie „normal“ war das Leben von Zschäpe, Bönhardt und Mundlos überhaupt im Untergrund? Wir wissen von regelmäßigen Urlauben auf Fehmarn. Zschäpe ließ sich da sogar von einem Fernsehteam beim Sport am Strand filmen.

Sie hatten eine große Wohnung, machten regelmäßig Urlaub und hielten Kontakt zu Leuten, die sie dort kennenlernten, Nachbarn sprechen auch von Fahrradtouren. Sie führten nach außen ein scheinbar ganz normales Leben, finanziert durch Banküberfälle.

Was hat sie so radikalisiert?

Die drei gehörten bereits vor ihrem Abtauchen zum harten Kern der Thüringer Neonazi-Szene und galten als militant. Sie sind einer Zeit politisch sozialisiert worden, in der in Mölln und Solingen Häuser durch Neonazis angezündet wurden und Menschen starben, in der in Hoyerswerda und Lichtenhagen pogromartige Zustände gegen Migranten herrschten, das hat die Neonazis dieser Generation geprägt. Die Politik schaffte das Grundrecht auf Asyl 1993 ab und befeuerte damit damals noch die Szene. Vor ihrem Abtauchen gab es Brief- und Bombenattrappen in Jena, für die die drei verantwortlich gemacht werden. Der Gang in den Untergrund war ein weiterer Schritt in Richtung Terrorismus.

Welche Rolle spielte Beate Zschäpe in dem Zwickauer Terror-Trio?

War sie Täterin oder nur Mitläuferin? Diese Frage ihrer Rolle innerhalb des NSU muss das Gericht in München jetzt erst klären. Ehemalige Kameraden und Freunde von Beate Zschäpe beschreiben sie als Aktivistin, nicht als Mitläuferin. Man darf nicht vergessen, dass sie das gemeinsame Versteck in Zwickau am 4. November 2011 in Brand setzte, das ist keine Passivität.

Bleibt eine solche Form von Radikalisierung, wie sie Zschäpe, Bönhardt und Mundlos betrieben haben, die Ausnahme, weil nur wenige bereit sind, so weit zu gehen?

Immer wieder werden scharfe Waffen und Sprengstoff bei Neonazis gefunden – auch nach dem Auffliegen des NSU. Militanz und Gewalt gehören zur Ideologie von Neonazis. Gewalt gegen Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, ist an der Tagesordnung. Auch in der Vergangenheit gab es Rechtsterrorismus, lange vor dem NSU. Es ist nicht ausszuschließen, dass sich ähnliche Taten wiederholen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Die Lesung und anschließende Diskussion „Die Aufklärung der NSU-Mordserie – Eine kritische Zwischenbilanz“ mit Maik Baumgärtner, Eva Högl, Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, die Prozessbeobachterin Eike Sanders von nsu-watch.info und Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs findet am heutigen Donnerstag, 18 Uhr, im T-Werk in der Schiffbauergasse statt. Der Eintritt ist frei

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