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Nacht der Chöre: Singen ist wieder angesagt
Sieben Vokalensembles sind am kommenden Samstag bei Potsdams "Nacht der Chöre" im Nikolaisaal. Wie das Echo auf die 400 Sänger ausfallen wird, ist noch offen - die Veranstaltung findet zum ersten Man im Nikolaisaal statt.
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Es gibt eine neue Lust am Singen. Die Zeit, dass die Chöre wegsterben, ist vorbei. Das sagt Moritz Puschke, der Geschäftsführer des Deutschen Chorverbundes, der sehr genau die Entwicklung verfolgt. Seit vier Jahren sei der stetige Rückgang gestoppt. Ja, und auch der so oft beklagte Männermangel ist eingedämmt, auch wenn nach wie vor die hohen Tenöre sehr begehrt sind. 60 000 Chöre gibt es derzeit deutschlandweit.
Bei „Potsdams Nacht der Chöre“, die am Samstag 400 Sänger im Nikolaisaal vereint, gab es also keine Schwierigkeiten, Ensembles zu finden, die die Vielfalt der Chormusik in allen Stimmlagen auf die Bühne bringen. Von der Romantik bis zum Pop, von Alter Musik bis zum Jazz wird dort zu einer Reise durch Zeit und Genres geladen. Neben fünf Berliner Chören bestreiten die Junge Kantorei Hermannswerder und der Jugendkammerchor der Singakademie Potsdam das fünfstündige Programm, das sowohl im großen Saal als auch im Foyer – zum Teil parallel – über die Bühne geht. Und am Ende sollen die Zuschauer selbst mit einstimmen, wenn Chorleiter Michael Betzner-Brandt zum Nachsingen animiert. Keine bekannten Lieder, eher Liedzeilen wird er einwerfen, die aus dem Moment heraus entstehen. Wie kräftig das Echo darauf ausfallen wird, weiß natürlich niemand. Aber dass der Auftakt der Nacht sangeskräftig auftrumpft, so viel steht fest. Denn rund 160 Mitwirkende singen, tanzen und spielen das anspruchsvolle und rhythmisch eingängige Stück „Sacred Concert“ von Jazz-Legende Duke Ellington. Dieses Großereignis hatte bereits in der Berliner Gedächtnis-Kirche seine umjubelte Premiere. Nun gibt es in Potsdam eine Wiederholung.
Denn diese erste „Nacht der Chöre“ im Nikolaisaal ist eingebettet in dem viertägigen Vokalfest Chor@Berlin. Das wird bereits seit drei Jahren vom Deutschen Chorverband und dem Radialsystem V als Experimentallabor für die Chorszene organisiert. Die guten Kontakte mit dem Radialsystem bei der neuen Reihe „aufgemischt“ nutzt der Nikolaisaal nun auch für diese Chornacht, die zeigen soll, wie innovativ und jung die Szene ist. „Wir beobachten gerade bei den neugegründeten Chören, dass ihre Mitglieder sehr leistungsbereit sind und ihr Hobby ernst nehmen. Wenn sie Geld und Zeit investieren, soll eben auch Qualität herauskommen“, so Puschke. Worauf aber ist diese neue Freude am Singen zurückzuführen? Der Geschäftsführer vermutet, dass dahinter die Lust steckt, etwas Gemeinschaftliches und Sinnstiftendes zu tun, um dem stressigen Arbeitsalltag ganz Eigenes entgegenzusetzen. Man probt zusammen, geht gemeinsam auf Konzertreisen, es entstehen Freundschaften.
Und jeder kann singen. Vielleicht nicht jeder in jedem Chor, aber es gibt für alle einen Platz. „Man kann sich einbringen, ohne lange dafür zu üben. Das ist der Unterschied zum Instrument“, sagt Chorleiter Michael Betzner-Brandt, der drei Ensembles leitet und auch das „Sacred Concert“ einstudiert hat. Für seine Berliner Chöre gibt es sogar Wartelisten. Ihm ist es wichtig, dass jeder mit seiner Stimme positive Erfahrungen macht, etwas von seiner Persönlichkeit hineingibt, egal in welchem Alter. Es müssen auch nicht alle Stimmgruppen immer besetzt sein. „Man arbeitet mit den Menschen, die da sind und sucht die entsprechende Literatur danach aus.“ Anders als im Sport geht es nicht darum, gegeneinander sondern miteinander zum Erfolg zu kommen. Aus diesem Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt sich dann auch eine so konzentrierte und mitreißende Energie wie beim Ellington-Stück, bei dem nicht nur seine eigenen Chöre, sondern auch sangesfreudige Gäste mitwirken. Betzner-Brandt wirbt für das Singen in jedem Alter: „Es hat so viele positive Effekte. Es sorgt für ein besseres Gruppen- und Sprachverständnis und für emotionale Bildung. Und es macht ähnlich frei und locker wie Joggen, ist aber weniger anstrengend.“
Singen ist also wieder salonfähig. Es hat lange gedauert, bis die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ein normales Verhältnis zum Gesang entwickeln konnten. „Durch den Missbrauch ist das Singen in Misskredit geraten. Es galt als nationalistisch und völkisch“, so Puschke. Doch diese so nachhallende ideologische Vereinnahmung scheint nun abgeworfen und findet bei der heutigen Jugend offensichtlich keinen Widerhall mehr.
Im Moment konzentriert sich diese neue Lust am gemeinschaftlichen Singen noch auf die größeren Städte mit Universitäten und Hochschulen, an denen es musikalische Studiengänge gibt. „Wir wollen aber auch in die Fläche gehen. Doch dazu braucht es gut ausgebildete Chorleiter, an denen es mangelt.“ Puschke warb bereits an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin für ein Masterstudium Chorleiter und für entsprechende Weiterbildungen. „Es gibt Bedarf, also müssen wir gemeinsam überlegen, wie wir den abdecken.“ Er weiß auch, dass Chorkonzerte meist für volle Säle sorgen, denn jeder Sänger bringt Familie und Freunde mit. Bei diesen Auftritten geht es längst nicht mehr nur steif und festlich zu. Die Sänger mischen sich unters Publikum, lösen das Frontale auf. Und sie finden spannende Orte, wie Fabrikhallen, in denen sie mit Echos arbeiten oder im Liegen singen.
Auch den Nikolaisaal finden Puschke und Betzner-Brandt sehr geeignet für so ein großes Fest der Stimmen, sehr modern und mit ausgezeichneter Akustik.
Samstag, 23. Februar, 19 Uhr, im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Karten für 20 Euro unter Tel. (0331) 28 888 28
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