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Kultur: „Skandale“ erweisen sich als gute Promoter

Andreas Maier las bei Wist aus „Kirillow“

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Andreas Maier las bei Wist aus „Kirillow“ Nun ist er doch gekommen. Der Schriftsteller Andreas Maier. Allen Amtspeinlichkeiten, Irrungen und Wirrungen zum Trotz. Die Initiative „k&k – Kultur und Kommerz“ hat dem verhinderten Literaturstipendiaten ein viermonatiges Stipendium und eine Wohnung in der Potsdamer Innenstadt gestiftet. Ganz in der Nähe des Literaturladens von Carsten Wist, in dem er am Freitag zu Gast ist, um sein soeben bei Suhrkamp erschienenes Buch „Kirillow“ vorzustellen. Nach „Wäldchestag“ (2000) und „Klausen“ (2002) nun der dritte Roman. Nein, nicht über Schloss oder Platte oder das Gespräch mit dem Oberbürgermeister wolle er reden. Obwohl festzustellen ist, dass Skandale, von wem auch immer ausgelöst, sich als gute Promoter erweisen. Der kleine Leseraum ist bereits vor Beginn ausverkauft. Andreas Maier schlägt sogleich sein neues Buch auf. Er wäre sich nicht ganz sicher, ob die Textauswahl glücklich sei. Es wäre erst die dritte Lesung aus „Kirillow". Er sei noch am Experimentieren. Dann ist man sogleich im neuen Text, der das Lebens-, Rede- und Beziehungsgeflecht Frankfurter Studenten beleuchtet. Die erste kurze Textpassage: Weitblick suchend steigen Julian und Jobst auf einen Berg. Schauen auf die von Umgehungsstraßen umzingelten Städte. Sinnieren über Totalitäres. Handel und Verkehr. Und über allem die gute Welt des Ministerpräsidenten für all die guten Menschen. Gegen dieses eherne Gesetz sei nicht anzudenken, die Katastrophe sei elementar, stecke in jedem Schuh. Umfangreicher die zweite Textpassage: „Am dreiundzwanzigsten November war ein gemeinsamer Ausflug geplant. Julia und Olga sollten Mainz sehen, man wollte vom eisernen Steg in Frankfurt aus mit dem Schiff „Wappen von Frankfurt“ fahren." Julia, Olga, Petka, Anton, Boris und Mischa sind Russen. So erklärt sich der anspielungsreiche Titel auf Alexej Kirillow – eine Figur in Dostojewskis Roman „Die Dämonen“. Als sie das Schiff besteigen, ist es nicht einmal zu einem Viertel besetzt. Die Mädchen gehen unter Deck. Julian liest auf Deck in einen schwarzen Mantel gehüllt Hölderlin. Was diese Russinnen angehe, so könne man ein Kapitel „über die Unmittelbarkeit des Triebleben – auch im Gesellschaftlichen“ schreiben. Sagt Julian auf Deck. Unter Deck wird das Kapitel „Triebleben“ inszeniert. Mit Julia in der Hauptrolle. Ein Mann gerät in Julias Fänge, spendiert Wein und verschwindet um 80 Euro erleichtert im Nebel: „Julia fühlte sich wie ein Gott. Sie saß da, fand sich jung, hübsch. Sie verspürte ein körperliches Wohlbefinden, bei all den unausgesprochenen Wünschen, die im Raum lagen.“ Auf Deck reden Julian und Jobst über die bevorstehenden Landtagswahlen. Sie möchten irgendetwas wirkungsvolles dagegen unternehmen. „Wir leben auf Treibsand, vom Anbeginn der Geschichte an. Mit jedem Versuch herauszukommen, kommen wir tiefer hinein," schreit Jobst. „Ich möchte nicht von dir ununterscheidbar werden, ich teile deinen Demonstrationspessimismus bei gleichbleibendem psychischen Wohlbefinden nicht!“ sagt Julian. „Wir brauchen eine Aktion mit einem sinnvollen Potential!“ Schreit Jobst. Es gäbe da einen Termin in Gorleben, sagt Julian später, der eigentlich nicht die Welt verändere, auf eine bestimmte Weise betrachtet aber doch verändere, auch wenn es keiner merke. Die Beschreibung der Stadtbesichtigung bleibt ausgespart. „Im nachhinein konnte sich niemand an irgend etwas dort erinnern, Mainz war die Stadt der totalen Entgeisterung“. Schließt Andreas Maier seine Lesung und schaut fragend in eine fragend schauende stumme Runde. Wie in seinem Roman über die „Krankheit der Jugend“ entzieht sich der erklärende Erzähler dem Leser im Text wie der Autor im nachfolgenden Gespräch dem Zuhörer. Lehnt sich zurück und lässt den Moderator allein deuteln. Wie Maier zu seinen Stoffen käme? Fragt Carsten Wist. Zuerst suche er nach einem Titel. Dann erst beginne der Schreibprozess. Nie wüsste er, wohin ihn der Titel treibe. So begann es auch mit „www. Kirillow.de, da kannst du es finden. Wir nennen es: Traktat über den Weltzustand.“ Wie auf dem Buchumschlag zu erfahren ist. Ein pessimistischer Zustand auf der Sonnenseite der Welt, mit dem es sich ganz gut leben lässt, solange sich noch in Gorleben alle Probleme bündeln.

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