Von Heidi Jäger: So schön wie nie
Freundschaftsbilder auf der Freundschaftsinsel: Kathrin Ollroges Fotografieprojekt hebt Vergangenes
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Dem entscheidenden Klick ging ein tagelanges Schaulaufen voraus. Alle Pullover wurden durchprobiert, die Frisur von hinten nach vorne gekämmt, der Schmuck angelegt. Alles natürlich gemeinsam mit der Freundin. Aufgeregt ging es zum Fotografen. Ohne Murren wurden Anweisungen befolgt: Die Hände brav in den Schoß gelegt, der Kopf leicht geneigt, den Blick melancholisch in sich gekehrt oder in verhaltener Fröhlichkeit. Ganz wie der Lichtbildner es für richtig hielt. Mit schweißnassen Händen hielt man Tage später das postkartengroße Doppelbildnis in den Händen: alle Pickel wegretuschiert, die Augenkonturen nachgezogen. So schön wie nie.
Wer sich in die Ausstellung von Kathrin Ollroge auf der Freundschaftsinsel begibt, spult den eigenen Lebensfilm zurück. Man erinnert sich an die längst aus den Augen verlorene „Busenfreundin“, an die erste große Liebe. Die über Jahrzehnte in den Fotoateliers alle nach der selben Masche aufgenommenen Konterfeis fehlen in kaum einem Familienalbum und auf keinem Ehemaligentreff.
Nun hängt eine Auswahl von 25 Bildern aus den 60er bis 80er Jahren an lichtüberfluteten Wänden im Inselpavillon und lädt zum vielstimmigen Kanon ein, in dem allein am Sonntag hundert Gäste einfielen. Auch Kathrin Ollroge ist mit zwei eigenen Freundschaftsbildern vertreten: eines aufgenommen bei Foto-Klett in Werder mit ihrer Jugendliebe Mario. „Ich trug damals natürlich meinen schönsten Pullover, den ich mir für 100 DDR-Mark im Exquisit gekauft hatte,“ sagte die heute 40-jährige Künstlerin. Auch ihre Mutter ist vertreten, mit feinem selbstgemachten Strick: nur 20 Jahre früher, aber in der gleichen Haltung wie die Tochter. Da Kathrin Ollroge für jedes Bild in der nur einwöchigen, dann aber in den Bahnhofspassagen fortgesetzten Schau das Einverständnis der Gezeigten benötigte, reaktivierte sie auch verloren gegangene Kontakte: wie die zwischen ihrer Mutter und deren damaliger Freundin.
Für Kathrin Ollroge ist dieses langangelegte Projekt wohl auch so etwas wie ein nach Hause kommen. Zehn Jahre lebte sie in England, putzte anfangs ohne offizielle Arbeitserlaubnis für einen Hungerlohn, bis sie sich durchs Fotografieren ihr Fotostudium finanzierte. Vor drei Jahren begann sie, wieder in der alten Heimat Fuß zu fassen, zwei Jahre davon hin- und herfliegend, ohne wirklich zu landen. „Jetzt bin ich angekommen“, und ihre ersten Projekte in Potsdam haben viel mit der eigenen Spurensuche zu tun.
Wie ihre „Kleinen Hausgeschichten“ in der Lindenstraße 15, die sie anhand von Puppenhäusern erzählt. Auch damals startete sie einen Aufruf in der Zeitung. Und so wie die Potsdamer ihre Puppenstuben für das Projekt beisteuerten, gaben sie auch ihre Freundschaftsbilder an die Künstlerin weiter. „Es wird durch solche privaten Dinge sehr viel hereingetragen.“ Deshalb möchte sie das Projekt auch fortsetzen, in dem sie versucht, die einstigen Pärchen erneut zu fotografieren. Aber auch andere Paare sind willkommen in dem Ausstellungs-integrierten Fotostudio, in dem man nach vorheriger Anmeldung unter zehn verschiedenen Fotografen wählen kann. Die nun groß aufgeblockten Freunde von einst wird Kathrin Ollroge später interviewen, um keine der spannenden Geschichten hinter dem Fotopapier zu verpassen. In einem Katalag wird alles nachzulesen sein, auch über inzwischen tote Freunde.
Und obwohl noch mittendrin in den Freundschaftsbilder-Geschichten, die es so wohl nur im Osten gab, sammelt sie bereits für die nächsten Projekte: Fotos von Geschwistern und von Familien sucht sie ebenso wie die berühmten Tierparkaufnahmen mit dem Löwenbaby auf dem Schoß. „Ich bin nicht unbedingt nostalgisch, aber offensichtlich ist das meine Art von Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.“
Die reine Porträtfotografie ist für Kathrin Ollroge Neuland. Bis jetzt gab es neben ihren Stadt- und Industrielandschaften nur Menschen in Kleingärten. Nun also lädt auch sie ins Studio: „Ich möchte Schwarz-Weiß-Aufnahmen machen und sie dann mit der Hand colorieren. Ein Experiment“, wie sie versichert. Wenn sie sich über die Aufnahmen beugt, wird sie sich vielleicht wie ihre Großmutter fühlen, die nach dem Krieg bei Foto-König in den Russenkasernen Krampnitz im gedimmten Licht als Retuschiererin arbeitete. „Die Russen waren reineweg verrückt nach solchen Fotos.“ Natürlich wurden auch sie akribisch von jedem Pickel, von jeder tiefen Falte befreit.
Bis 12. Juli im Pavillon, ab 16. in den Bahnhofspassagen. Zur Finissage am 23. 8. wird alles, was entstanden ist, gezeigt. Termine zum Fotografieren: Tel. 0163-4621118 (10 Euro für 13x18-Aufnahmen).
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