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Kultur: Sommerdurchtränkt
Die Malerin Barbara Raetsch lädt an den kommenden beiden Wochenenden in ihre Atelierwohnung am Kanal ein
Stand:
Die Ernte ist eingefahren. Doch kein Grund, sich zufrieden zu geben. Auch das „Stoppeln“ ist wichtig, um die letzten Gaben zu bergen. Die Malerin Barbara Raetsch weiß um den Wert der Nachlese. Die Zeit, als sie in die Natur eintauchte und vor Ort die satten Farben der Raps- und Mohnfelder und der gedroschenen Gerste einatmete und sofort auf die Leinwand brachte, ist vorbei. Das Auto ist längst verkauft, die Gesundheit momentan angegriffen. Doch die Erinnerung an ihre Ausfahrten leben fort und treiben sie täglich an die Staffelei, um ihre Bilder immer weiter zu vervollkommnen. Oft im jahrelangen Dialog.
Immer wieder greift Barbara Raetsch in ihrer Atelierwohnung am Kanal zur Farbe, um neue Schichten aufzutragen. So quellen die Sonnenblumen inzwischen förmlich aus dem Rahmen, die roten Mohnblumen tanzen flackernd wie Irrlichter auf dem sommerdurchtränkten Acker. Die Malerin schöpft aus dem Reich der Fantasie, gespeist aus verdichteten Sedimenten der Erinnerung. Umso mehr sie sich von den realen Bildern der Natur entfernt, umso näher kommt sie ihnen auf die Spur. Alles ist vage und doch greifbar: Ähren, Blumen, Sonnenaufgänge, Abendlicht. Der Hauch eines dunklen Streifens im gelben Dickicht lässt das Dach eines Bauernhofes in der Ferne erahnen, und wenn Himmel und Erde miteinander verschmelzen, gibt es doch die Anmutung des Horizonts.
Vier Jahre ist es her, dass die 74-jährige Künstlerin in einer Ausstellung in Potsdam zu sehen war: in einer Personalschau im Alten Rathaus. Ihr Atelier in der Kirche Hermannswerder hat sie inzwischen aufgegeben und ihrem bildhauernden Sohn Robert überlassen. Gern erzählt sie von dieser vergangenen Zeit auf der Insel und den gut besuchten Vernissagen. Eine Woche vor ihrer traditionellen Frühjahrsausstellung 2004 starb ihr Mann und Malerkollege Karl Raetsch. „Ich habe trotzdem eröffnet, und es war so, als wäre er dabei.“
Die ihr besonders ans Herz gewachsenen Bilder des Verstorbenen hängen in einem der Räume ihrer Atelierwohnung, in die sie nun zum vierten Mal die Öffentlichkeit einlädt. An den kommenden zwei Wochenenden kann man dort auch ihren roten und gelben Salon betreten und sich auf eine ganz besondere „Landpartie“ freuen. „Landschaft im Licht“ nennt Barbara Raetsch übergreifend ihre fast monochromen Bilder. Die in Rot sind in den Gartenanlagen Sanssoucis entstanden und zeigen weiße Jünglinge in Marmor, versunken in feuriger Glut, wie den schönen Apollo oder den selbstbewussten Punk: Männer mit schmalen Hüften und muskulösen Beinen, wie die Malerin es mag. Auch ihre Mohnfelder strotzen im kräftigen Rot, ein wogendes Blütenmeer, in das der Betrachter hineingesogen wird. Immer scheint in ihren Bildern etwas aufzubrechen. Und wenn dem nicht so ist, sagt sie nur: „Da muss ich unbedingt noch mal ran“. Selbst mit Krücke, die sie bald wieder in die Ecke legen will, hält sie nicht inne und „stoppelt“ weiter. Manchmal stellt sie die Bilder ins Regal und holt sie erst nach Monaten wieder vor, um sie mit frischem Blick zu mustern. Wie Kinder, die man hegt und pflegt, ziehen lässt, um sie wieder glücklich und genau musternd in den Arm zu nehmen. Es fällt ihr schwer, eines ihrer Bilder zu verkaufen. „Ich hänge an den Dingern“, sagt sie lakonisch und weiß zugleich, dass der Mensch nicht nur von Luft und Liebe lebt. Barbara Raetsch freut sich, dass sie voraussichtlich 2012 im Haus zum Güldenen Arm in Potsdam ausstellen darf und in diesem Jahr im tristen Monat November in der Städtischen Galerie Werder mit ihrem „Wilden Mohn“ oder der reifen Wollust des „Altweibersommers“ für Wärme sorgt.
Es ist nicht der grüne Sommer, in dem alles sprießt und gedeiht, der sie anzieht – und dem ihr Mann erlegen war. Sie mag die Erntezeit, die gelben Felder, die Ruhe verströmen und mit der Kraft der Gewissheit ihre satte Schönheit entfalten. Heidi Jäger
Offenes Atelier am 14./15. Mai und 21./22. Mai, jeweils von 11 bis 17 Uhr, Am Kanal 71, Tel.: (0331) 270 22 52
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