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Kultur: Songs aus dem Nirwana
Rocko Schamoni erweckt auf seinem Album „Die Vergessenen“ alte Lieder zu neuem Leben
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Vor einem sitzt, im Büro seiner Berliner Plattenfirma im Prenzlauer Berg, einer der lustigsten Menschen Deutschlands. Er guckt ziemlich ernst. Rocko Schamoni ist eine Blödelmaschine. Wenn er den Mund aufmacht, hört man die Stimme, die man von den unzähligen Telefonstreichen der Guerilla-Spaßtruppe Studio Braun her kennt.
Aber Schamoni ist kein Scherzkeks, ganz im Gegenteil. Er arbeitet als Musiker, Schriftsteller, Theaterregisseur, Schauspieler und Clubbesitzer. Lauter Rollen, die er mehr ernst als komisch interpretiert. Schon lange, erzählt er, leidet er an Depressionen. Seine Hoffnung: „Mit Humor kann man sich aus der eigenen Depression herausholen, sich über sich selbst in seinem Elend lustig machen. Humor und Depression sind für mich zwei Seiten derselben Medaille.“
Rocko Schamoni hat immer mehr als gerade nur ein Projekt am Laufen. Auf einer Lesereise stellt er seinen aktuellen Roman „Fünf Löcher im Himmel“ vor. Mit seinen Studio-Braun-Kollegen Heinz Strunk und Jacques Palminger nimmt er gerade ein zweites Album als Fraktus auf, einer Band, die behauptet, sie habe bereits in den 80ern den Techno erfunden. Fraktus ist ein typisches Rocko-Schamoni-Projekt: hintergründig, selbstironisch, brüllend komisch und stellenweise auch wieder nicht.
Außerdem ist gerade Hamburg in Aufruhr, weil der Golden Pudel Club vor der Schließung steht, eine Institution der Hamburger Subkultur, die Rocko Schamoni zu Teilen gehört. Mit seinem Mitbesitzer, einem ehemaligen Freund, hat er sich überworfen. Die Zukunft des „Pudel“ ist bedroht, das ist ungefähr so, als würde in Berlin das Berghain vor dem Aus stehen.
Vor allem aber hat Rocko Schamoni, der eigentlich Tobias Albrecht heißt und aus einem kleinen Kaff in der Nähe von Kiel stammt, nach neun Jahren Pause mal wieder eine Soloplatte aufgenommen. Zusammen mit dem Orchester Mirage, das sich aus Profimusikern der Hamburger Jazz- und Klassikszene zusammensetzt, ist ein ungewöhnliches Werk entstanden, das den Titel „Die Vergessenen“ trägt. Schamoni galt Ende der 80er mit seinem Fun- und Schlagerpunk bereits als würdiger Erbe der Ärzte. Nun macht der ehemalige Spaßpunk einen auf Manfred Krug und schwelgt sich durch hauptsächlich deutschsprachige Lieder in opulenten Orchester-Arrangements. Aus dem Rockdilettanten in grellbunten Spandexklamotten ist ein Crooner im gut sitzenden Anzug geworden, der „Morgenlicht“ von Ton Steine Scherben oder „Das Zelt“ von der Berliner Band Jeans Team vorträgt, wozu Streicher und Bläser jubilieren.
Imagezertrümmerung? Nein, Zufall. Schamoni, 49, war für ein Projekt bei den Ruhrfestspielen eingeladen. Er wollte dort eher unbekannte deutschsprachige Songs in Bigbandarrangements präsentieren. „20 Musiker, ein paar Schauspieler. Riesengroß und sehr teuer.“ Das 16-köpfige Orchester wurde extra für das Festival gegründet, gleichzeitig entstand die Idee, zusätzlich zum Live-Spektakel ein Album einzuspielen. Eine Crowdfundingkampagne erbrachte ein Produktionssalär von 42 000 Euro. „Doch dann haben die Ruhrfestspiele uns abgesagt“, sagt der Sänger. Damit schien die Sache geplatzt zu sein. Aber Schamoni und das Orchester gingen trotzdem ins Studio. Trotzig. Von den Ruhrfestspielen ließen sie sich ihr Projekt nicht kaputtmachen.
Gut so. Neben den üppigen Arrangements macht den Charme von „Die Vergessenen“ die Tatsache aus, dass es sich hier wirklich um versunkenes Kulturgut handelt, um Perlen der zumeist deutschen Songwriterkunst. Songs von Bands wie Saal 2, Guz, der Regierung oder den Lassie Singers, die entweder immer unbekannt waren oder schon wieder vergessen sind. „Ich finde Best-of-Projekte langweilig“, sagt Schamoni. „Viel interessanter ist es doch, unbekannte Songs von unbekannten Leuten zu nehmen, um zu zeigen, was noch Tolles herumliegt.“ Nebenbei soll das Album auch ein Plädoyer für einen anderen Umgang mit der eigenen Popmusik sein. „Warum spielt ihr uns nicht im Radio? Warum muss man nach Österreich fahren und den Sender FM4 anschalten, um Musik aus Hamburg zu hören?“
Rocko Schamoni hat mit Bandleader Sebastian Hoffmann, dem Labelchef und einem Freund die eigenen Plattensammlungen nach Songs für das Projekt durchforstet, bei iTunes und Internetforen gestöbert. Aus einer Auswahl von 1500 Songs schafften es 13 aufs Album. „Die Kriterien bei der Auswahl waren: Ist der Text gut und widerborstig genug? Ist die Komposition anspruchsvoll? Ist der Song dafür bereit, dass er in das Gewand passt, das wir uns für das Projekt ausgedacht haben? Und kann ich den Song singen? Ich bin ja kein perfekter Sänger.“
Understatement. Nach seinen Schlagerpunkzeiten hat sich Schamoni als Soulsänger neu erfunden. Er liebt den PhillySound und Italo-Western-Scores, Schmalz und große Gefühle gab es obendrauf, was nicht jeder Indierocker der sogenannten Hamburger Schule damals zur Jahrtausendwende verstehen wollte. Egal. „Soul kann so schön emotionalisieren“, sagt Rocko Schamoni. „Er dringt ins Herz des Zuhörers, dann erst in das Gehirn, während deutscher Indierock eher gleich in den Kopf geht.“ Ob er glaubt, dass seine Orchestersongs im Radio laufen und von dort direkt die Herzen der Zuhörer erobern werden? „Keine Chance.“ Andreas Hartmann
„Die Vergessenen“ von Rocko Schamoni & L‘Orchestre Mirage erscheint am Freitag (Staatsakt). Konzert am 18. Juni (Heimathafen Neukölln).
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