Kultur: Spannungsreich im Europa der Nationen
Einige Auseinandersetzungen hat Ud Joffe schon hinter sich. Dass er ausgerechnet Kurt Weills „Die Jasager“ und Hanns Eislers „Die Mutter“ beim ersten Konzert für Chor und Orchester in der neuen Saison der Erlöserkirche Anfang November aufführen wird, hat bei manchen Sängern für Unmut gesorgt.
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Einige Auseinandersetzungen hat Ud Joffe schon hinter sich. Dass er ausgerechnet Kurt Weills „Die Jasager“ und Hanns Eislers „Die Mutter“ beim ersten Konzert für Chor und Orchester in der neuen Saison der Erlöserkirche Anfang November aufführen wird, hat bei manchen Sängern für Unmut gesorgt. Diese Sprache! Diese politischen Botschaften! „Das haben wir in der DDR lange genug gehört“, sagten ihm einige Chormitglieder. Doch Ud Joffe ließ das nicht gelten. „Als Künstler kann ich das nicht akzeptieren“, sagte Joffe am gestrigen Dienstag bei der Vorstellung des Konzertprogramms für die Saison 2009/2010.
Für Ud Joffe, künstlerischer Leiter der „Musik an der Erlöserkirche“, gibt es Parallelen zwischen Weills „Die Jasager“ und Eislers „Die Mutter“ und den Passionsgeschichten, die immer wieder in der Musik verarbeitet wurden. „Die Ablehnung von privatem Vermögen und das Ziel einer solidarischen Gesellschaft sind nicht erst mit Marx und Engels in die Welt gekommen. Bereits tausende Jahre früher waren dies zentrale Themen, angefangen bei den großen Propheten bis zu Jesus Christus und der Bergpredigt“, wie Joffe im aktuellen Programmheft schreibt. Und so verwundert es nicht, dass das vierte Konzert für Chor und Orchester im März diesen Spannungsbogen schließt, wenn der Neue Kammerchor und das Neue Kammerochester Bachs „Matthäus-Passion“ zur Aufführung bringen.
Spannungsreich, so kann das gesamte Programm von „Musik an der Erlöserkirche“ bezeichnet werden, das für die kommenden zwei Spielzeiten unter dem Motto „Europa der Nationen“ steht. Wieder gibt es, wie seit acht Jahren schon, vier Sinfoniekonzerte und vier Konzerte für Chor und Orchester, für das auch ein Abonnement angeboten wird. Für Joffe und Christian Seidel, Vorsitzender des Trägervereins des Neuen Kammerorchesters Potsdam, war bei den Planungen für das Konzertprogramm klar, dass sie das politische Jubiläum der Maueröffnung nicht umgehen können. Doch ihr Blick ist weiter gefasst. So steht das Eröffnungskonzert am Donnerstag, dem 24. September, unter dem Titel „Frankreich – Neue Klangwelten“ mit Werken von Debussy, Ravel, Milhaud und Poulenc. In den weiteren Konzerten folgen Deutschland, Russland und Tschechien als musikalische „Themen“. Nation und Europa, so Joffe, das sei noch immer ein schwieriger Prozess, der mit dem Mauerfall seinen Anfang nahm. Wo liegt der Schwerpunkt, fragt Joffe. Auf dem Europagedanken oder doch mehr auf dem von der eigenen Nation? Hier biete sich ein Spannungsfeld, das schon immer einen starken Niederschlag in der Musik hatte.
Natürlich ist die „Musik an der Erlöserkirche“ auch als Unterhaltung gedacht. „Schließlich sind wir kein Institut für politische Bildung oder eine philosophische Fakultät“, so Joffe. Wer die zahlreichen großen und kleinen Konzerte, die Kantaten- oder Orgelreihe der kommenden Saison besucht, finde genug Anreize für geistige aber auch geistliche Auseinandersetzungen. Ein spannungsreiches Programm das, da reicht schon ein kurzer Blick in das Programm, wohl wieder ein breites Publikum finden wird. Dirk Becker
Eröffnungskonzert mit dem Neuen Kammerorchester Potsdam, Leitung Ud Joffe, am Donnerstag, 24. September, 19.30 Uhr, in der Erlöserkirche. Der Eintritt kostet 13, ermäßigt 10 Euro
Dirk Becker
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