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Kultur: Spannungsreicher Vielklang unterm Atlas Drei Ausstellungen im Alten Rathaus

Es ist Leben in Potsdams Altem Rathaus. Auf allen Etagen sind an diesem Mittwoch Nachmittag muntere Gesprächsfetzen zu vernehmen.

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Es ist Leben in Potsdams Altem Rathaus. Auf allen Etagen sind an diesem Mittwoch Nachmittag muntere Gesprächsfetzen zu vernehmen. Auch von den Wänden tönt ein polyphoner Klang. In der unteren Eingangsebene stehen einige Bilder indes noch auf der Erde und wenden dem Betrachter rigoros den Rücken zu. Erst am Sonnabend dürfen sie ihre Gesichter publikumswirksam erstrahlen lassen: dann ist Vernissage. Ein erster neugieriger Blick offenbart die Handschrift alter Bekannter aus Potsdams Künstlergilde: Da gibt es die digital bearbeiteten Fotografien von Monika Schulz-Fieguth, die sich zwischen inszenierten Frauenakten und malerischen Stillleben bewegen. Erfreulich, auch das Künstlerehepaar Peter und Christa Panzner mal wieder in einer größeren Ausstellung erleben zu können. Wie Corinna Dahme, die mit ihren Keramiken die „quARTe“-Schau vervollständigt, sind auch die Panzners seit vielen Jahren an der Kunstschule Potsdam engagierte Nachwuchsförderer. Die Treppen hinauf wird man durch eine offene Tür vom Bildnis des Reichsarchivrats Karl-Heinrich Schäfer begrüßt. Er gehört zu den drei engagierten Katholiken, die in der Ausstellung „Bekenntnis zu Potsdam“ gewürdigt werden. Heute ist seine Tochter Renate Schäfer in die Ausstellung gekommen, um sich noch einmal in Wort und Bild an den Vater, der 1945 im KZ Sachsenhausen ums Leben kam, zu erinnern. Für die gesundheitlich sehr angegriffene ältere Dame wurde von den Ausstellungsmachern eine gemütliche Kaffeerunde bereitet, in der sie über ihre Gefühle und Gedanken reden kann. „Es ist schön, dass es so geworden ist, wie es geworden ist“, freut sie sich über das Resultat der Aufbereitung ihrer familiären Erinnerungen. „Ohne Renate Schäfers Aufgeschlossenheit wäre diese Schau nicht zustande gekommen: Sie rettete die Lebenszeugnisse ihres Vaters über die Zeit hinweg und stellte sie gern auch für die Ausstellung zur Verfügung“, so Peter Rogge vom Ausstellungsteam, der tagelang in dem Nachlass „wühlen“ durfte. Darin befand sich auch ein Brief des Vaters an die Tochter aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit vom 23. 12. 1942: „Mir geht es den Umständen entsprechend erträglich. Deine wollene Decke wärmt mich gut, mein Bett ist jetzt hinreichend warm für meine 72 Jahre. Das Essen am Morgen tut mir mit 2 mal Brei auch gut. Nur von 12 bis 19 (Uhr) zu warten ohne einen Bissen ist schwer erträglich für den alten Magen Du brauchst keinen Tannenbaum zu kaufen. Du kannst die Lichter an die Palme machen und die Krippe mit den Figuren darunter bauen.“ Renate Schäfer musste an jenem Weihnachtsfest nicht nur auf den Vater, sondern auch auf die Mutter verzichten, die ebenfalls in Moabit eingesperrt war. Drei Jahre später war der Vater tot. „Ich war erstarrt. Meine Seele war nicht mehr fähig ein größeres Schmerzgefühl auszudrücken. Tot und leer in tiefer Nacht war sie“, schrieb Renate Schäfer in ihr Tagebuch, als sie die Todesnachricht erhielt (nachzulesen in der Broschüre „Potsdam 1945“ vom Potsdam-Museum). Die Inhaftierung der Schäfers erfolgte nach der Denunzierung einer Hausangestellten über ein gemeinschaftliches Hören von Feindsendern in der „Lützelburg“, ihrem Wohnhaus in der heutigen Meistersingerstraße, in dem Renate Schäfer noch heute lebt. Nach dem Eintauchen in dieses bewegende Schicksal, haben es die Fotografien in der dritten Ausstellung des Hauses schwer, sich ebenfalls die nötige Aufmerksamkeit zu erkämpfen. Die in Schwarz-Weiß gehaltenen „Mo(nu)ment-Aufnahmen“ von Bau- und Kunstdenkmalen, die der Fotograf Dieter Möller aus mehreren tausend Aufnahmen heraus filterte, sind es indes wert, genauer in Augenschein genommen zu werden. Die für die Denkmalpflege entstandenen menschenleeren Bilder erzählen in großer Konzentration und optischer Brillanz ebenfalls Geschichte: vom Aufstieg, Niedergang und Wiederaufleben zu Stein geronnener Kulturen. Die von den Potsdamern oft links liegen gelassenen Ausstellungen unter dem goldenen Atlas können Lebendigkeit auch seitens der Besucher gut vertragen – nicht nur zu den Vernissagen oder bei einer ganz besonderen Aufwartung. H. Jäger

H. Jäger

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