
© Manfred Thomas
Kultur: Späte Rebellion
Barbara Raetsch lädt in ihr Atelier. Ihr Ausstellungswunsch im „Güldenen Arm“ wurde abgelehnt
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Das warme Karminrot, sonnendurchtränkte Gelb und aufwühlende Schwarz sind an die Seite gerückt. In schrillbunter Farbigkeit buhlen jetzt „Freudenhäuser“ um Aufmerksamkeit. Barbara Raetsch scheint mit ihren 74 Jahren noch einmal in den Jungbrunnen getaucht zu sein, um mit überbordender Energie und naiv-ungetrübtem Blick aufzutauchen. Herausfordernd frisch und streitbar sind ihre neuen Fassadenbilder, an denen sie wie im Rausch seit Jahresanfang malt und die sie am Wochenende in ihrer Atelierwohnung zeigt.
Es sind keine klappernden Skelette mit leeren Augenhöhlen, die fast zusammenbrechen, so wie einige ihrer zum Sterben schönen Häuserfassaden aus den 80er und 90er Jahren. Diese neuen Ansichten strotzen vor Selbstbewusstsein und Frechheit. Sie sind wie ein spätes Ausrufezeichen einer aufatmend-abstrakten Betrachtung.
Gern wäre die Künstlerin mit diesen und anderen Arbeiten hinausgetreten. Im „Haus zum Güldenen Arm“, das sie ebenfalls in Verfall und Schönheit malte, wollte sie in diesem Jahr ihre Werke zeigen, in einem öffentlichkeitswirksameren Rahmen als in ihrer Wohnung. Die ist zwar durchaus großzügig bemessen, dennoch stapeln sich die bleibenden Bilder der Vergänglichkeit geradezu an Wänden und in Regalen. Noch nie gezeigte, verschollen geglaubte Werke sind darunter, die Barbara Raetsch verkramt in einem Kabuff in ihrer Galerie-Kapelle auf Hermannswerder gefunden hat. Ein Ort, den sie seit dem Tod ihres Mannes und Künstlerkollegen Karl Raetsch 2004 nicht mehr nutzt.
Barbara Raetsch hatte sich bereits zwei Mal vergeblich im Pavillon auf der Freundschaftsinsel um eine Ausstellung bemüht, in dem regionale Künstler bis 2010 ihre Arbeiten zeigen konnten. Dieser gläserne Raum ist inzwischen in der Hand des Brandenburgischen Kunstvereins. Die regionale Kunst präsentiert sich seitdem im „Güldenen Arm“ unter Leitung des Kulturbundes. „Als der Pavillon aufgegeben wurde, hatte man mich nicht mal informiert.“ Und auch jetzt habe sie erst nachhaken müssen, um von der Ablehnung im „Güldenen Arm“ zu erfahren, wie Barbara Raetsch betont. „Die benehmen sich wie die Axt im Walde“, schimpft sie und lässt ihrer Wut freien Lauf. „Ich weiß, dass ich polarisiere, aber ich bin nicht fürs Brave.“ Weder privat noch in der Kunst.
Für die von der Stadt mitfinanzierte Galerie im „Güldenen Arm“ gab es für dieses Jahr 67 Bewerbungen auf neun Ausstellungen. „Da kann man natürlich nicht alle berücksichtigen. Das ist sicher bitter, gerade wenn man wie Barbara Raetsch zu den renommierten Potsdamer Künstlern zählt“, sagte Kulturamtsleiterin Birgit-Katherine Seemann auf PNN-Nachfrage. „Es ist ein Fluch und Segen zugleich, dass wir über eine so große Schar an Künstlern verfügen, die sich sehen lassen kann.“ Es sei keineswegs so, dass die ältere Generation dabei hinten runter falle, betonte sie und nannte als Beispiel die Ausstellungen zu Wolfram Baumgardt und Clemens Gröszer 2011. „Bei der Auswahl spielt Qualität und der Regionalbezug eine Rolle, aber auch, wer lange nicht zu sehen war“, so Seemann. Und da hat Barbara Raetsch offenbar schlechte Karten. Zu nah scheint offensichtlich noch ihre Personalausstellung, die sie 2007 zum 70. Geburtstag im Alten Rathaus hatte. Und dann gab es ja im vergangenen Herbst auch noch eine Ausstellung in Werder. Zu viel Präsenz? „Frau Raetsch kann sich 2013 ja durchaus neu bewerben“, so die Kulturamtsleiterin. Daran denkt die Malerin keineswegs. „Ich bewerbe mich da nicht noch mal. Dann sollen sie mich einladen.“
Gern würde sie ihre Bilder auch mal an so großen Wänden wie im Kunstraum in der Schiffbauergasse zeigen. Gäbe es denn dort eine Chance? Kurator Erik Bruinenberg findet es zwar wichtig, dass Potsdamer bei ihm vertreten sind, interessiert sich aber mehr für die jüngere Generation. „Ich verfolge solche Sachen wie die von Frau Raetsch nicht. Sie sind nicht mein Geschmack. Aber es ist ja oft so, dass man interessante Aspekte erst findet, wenn man tiefer reinbohrt.“ Er möchte sich nicht grundsätzlich vor der älteren Malergeneration Potsdams verschließen. „Vielleicht ist es ja irgendwann ein Thema.“
Es gebe derzeit viel zu wenig Gelegenheiten, wo sich Künstler präsentieren können, weiß Galerist Werner Ruhnke. „Eine gewisse Hoffnung besteht, wenn das Potsdam Museum öffnet und die Kunsthalle denn kommt. Aber es gibt auch jetzt leerstehende Räume wie die Schinkelhalle, die viel Miete kosten, aber nicht genutzt werden.“ Gern würde er unterstützen, dass sich das ändert.
Im Potsdam Museum schaut man indes schon genau, wie künftig mit den Künstlern der Region gearbeitet werden kann. „In einer für Spätsommer 2013 geplanten Sonderausstellung mit DDR-Kunst zum Thema Stadtbilder planen wir, wichtige Potsdamer Künstler einzubeziehen, auch Barbara Raetsch. Sie hat einige sehr prägnante Stadtbilder gemalt“, so Museumschefin Jutta Götzmann.
Barbara Raetsch, die lange mit dem Tod ihres Mannes zu kämpfen hatte und selbst einige Operationen durchstehen musste, blüht in ihrer Kunst noch einmal richtig auf. „Wenn ich male, denke ich nicht an Schmerzen. Es gibt etwas im Menschen, das über den Körper hinaus geht.“ Irgendwo habe sie gelesen: „Wenn alles verloren und verbrannt ist, werden die Felder wieder grün“. „Das hat etwas sehr Tröstliches.“ Und lachend stellt sie sich vor ihre „Freudenhäuser“ und sagt: „Ich finde sie prächtig.“ Eine späte Rebellion in der aufmüpfigen Farbe der Jugend.
Barbara Raetsch lädt am heutigen Samstag und morgigen Sonntag von 11 bis 18 Uhr in ihr Atelier Am Kanal 71
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