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Einfach titellos. Srinivas Mangipudi brachte ein breitbeinig sitzendes Wesen aus fließender Tinte zu Papier.

© Manfred Thomas

Von Gerold Paul: Spiegelfechtereien

Künstler suchen in der „Galerie 11-Line“ Antworten auf die Frage nach Potsdamer Kunst

Stand:

Als man sie am Freitag in der „Galerie 11-Line“ fragte, was und wer denn nun die Kunst in Potsdam bestimme, schaute das knappe Dutzend junger Künstler aus Litauen, Indien, Spanien und Polen ein wenig ratlos drein. Ihre Antworten holperten zwischen „sozialer Projektarbeit“ und „interkulturell-kreativem Arbeiten“ hin und her. Ist ja auch nicht unbedingt Künstlers Art, sich im „kulturpolitischen Kontext“ zur Welt und zu Potsdam zu äußern. Nein, das „Projekthaus Babelsberg“ hatte sich die „provokante Fragestellung“ nach der Steuerung hiesiger Kultur ausgedacht und sie zusätzlich mit einem dicken „Versus-Paket“ belastet: „Hochkultur vs. Subkultur, Schloss vs. Spartacus, Graffiti vs. Historische Altstadt“ – durchweg nur dialektische Konstrukte im Hell-Dunkel-Feld.

Gut zwei Wochen lebten und arbeiteten die „Mittdreißiger“ – wozu man auch den Potsdamer Klaus Hugler zählte – in der Breitscheidstraße. Nun wollten sie ihre künstlerische Bildsuche auch öffentlich machen, was zentraler und „unabhängiger“ als bei „11-Line“ nun wirklich nicht geht. Kein Besucher wird hier auf die Idee kommen, nach Discount-Standards für Touristen zu fragen. Erster Eindruck der Ausstellung: Was überwiegend vor Ort entstand und sich irgendwie auf ihn bezieht, ist nicht besser und nicht schlechter als anderswo. Und „eigen“ genug, sich neben dem Etablierten zu behaupten. Kulturpolitik hat immer mit Lobby zu tun, Kunst nur mit Kunst!

Apropos Idee: Diesen Begriff machte sich Angelo Loconte K. Picture für sein Opus zu eigen: Mit dem Schriftzug „Ich bin eine Idee“ verziert, stellt er sich sich als stilisierte, in Draht geformte Glühbirne auf weißem Hintergrund dar. Wahrlich ein ungewöhnliches Selbstporträt, ein bisschen abstrakt, ein bisschen kühl, man muss es nur noch anknipsen. Gleich daneben hängt eine A 4-Kohlezeichnung von Klaus Hugler mit dem Titel, „Ich suchte nach Antworten und fand meine spirituelle Familie“ – viele Situationen in Gleichzeitigkeit, dazu der Schriftzug wie eine Sehnsucht „ohne Opportunitäten leben“.

Die Litauerin Regina Degiorgis führt den Betrachter ins Innenleben eines „Fliegenden Steins“, neben Kristallinem ist noch mehr zu sehen. Gleichfalls „flügge“ geben sich ihre Recycle-„Shoes“ in Grün und in Rot, Größe 39: Ziehe an, wem das passt! Viele haben ihr Werk ganz absichtsvoll auf kleinformatiges Papier gebracht, oft fehlen die Rahmen. Monarts verwendet vor allem Guache- und Aquarell-Techniken: „Bird“, „Union“ oder „Hope“ variieren zarte Farben und filigrane Form-Konstruktionen, manchmal sind es auch die Räume selbst, die da tropfen wie der Ring Draupnir im nordischen Mythos.

Srinivas Mangipudi erschuf ein breitbeinig sitzendes Wesen aus fließender Tinte, es könnte ein sattes Baby sein, oder eine gebärende Frau, irgend etwas bleibt da, titellos, offen. Von seiner Hand stammt auch die Serie „Gateless Gate“, die siebenmal von der Liebe handelt. Vier unbetitelte Arbeiten größeren Formats zeigen, wie lehrreich und nützlich Leerstellen in einem Bilde sein können. Auch Alina Melnikova hat etwas Zartes erdacht, etwas, das Form ist, aber Formen nicht preisgeben will, der Titel „Inside of You-Outside of Me-Inside of You“ weist Dialogsuchern den Weg. Darum ging es der Gruppe: wahrzunehmen und wahrgenommen werden, einen Gegenüber in Potsdam zu finden. Denn auf das „und“ kommt es an, nicht auf das „versus“. Ihr Motto also in der Galerie: Mehr zeigen als Geld verdienen. Nur so vertritt „junge, unabhängige Kunst“ sich selbst, auch ohne Vernissage und Laudatio.

Mit den zartesten Graustufen eines Bleistifts zeichnete Joaquin Vila „Patatas“: Kartoffeln also als Kunstwerk, das gab es schon lange nicht mehr. Weiterhin stößt man auf die vielsagenden Filzstift-Zeichnungen von Grazyna Hoinka, eine „Akkumulation“ von Null bis Eins B, auf ganz originelle und teils naiv anmutende Acrylarbeiten von Akvile Miseviciute, welche sich mit tierischen Interna beschäftigen. Bei „mother and child“ hat Samko’s Pinsel das Sujet wortwörtlich Punkt um Punkt vollendet.

Nun lasse einer sein Licht leuchten, was diese so produktive Exposition mit der trockenen Fragestellung eingangs zu tun hat. Keine Idee? Dass Kunst und Kulturpolitik so wenig zusammenpassen wie Männer und Frauen, weiß doch jeder, dass man nicht antworten muss, wenn einer fragt, weiß man auch. Spiegelfechtereien mit falschen Adressen. Letztlich trägt jedes „versus“ zum helldunklen Elend der Welt bei. „Kulturpolitik“ ist folglich nichts anderes, als das, was Novalis über das Volk sagte: Nur „eine Idee“. Und genau das zeigt diese Schau.

„11-Line Galerie – Café“: Charlottenstraße 119, Mo-So 11-23 Uhr

Gerold Paul

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