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Es ist vollbracht. Judit (Bettina Ranch, l.) ist aus dem Feldlager der Assyrer mit dem Kopf des Holofernes zurückgekehrt. Die Adlige Amital (Robin Johannsen) gibt der erschütterten Judit Zuspruch, hat sie doch ihre Heimatstadt Bethulien gerettet.

© Stefan Gloede

Kultur: Spiel auf dem Auge Gottes

Potsdamer Winteroper in der Friedenskirche: Großer Erfolg mit Mozarts „Betulia liberata“

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Die trauernde Judit möchte ihre von den assyrischen Feldherrn Holofernes belagerte jüdische Stadt Bethulien retten. Sie tauscht ihr schwarzes Witwengewand in ein goldenes Kleid und will damit alle weiblichen Reize gegenüber dem Tyrannen ausspielen, in dessen Feldlager sie ihn trifft. Sie kehrt zurück, blutverschmiert, am Ende ihrer Kräfte, mit dem abgeschlagenen Kopf des Holofernes. Die Bethulier feiern Judit als Heldin, erheben sie zu einem Denkmal. Doch noch einmal wendet sie sich dem Kopf des assyrischen Feldherrn zu. Sie streichelt ihn, zärtlich, vielleicht aber auch um Vergebung bittend. Ein rätselhafter, vielleicht auch der einzige etwas kitschige Moment in der Potsdamer Aufführung der Azione sacra „Betulia liberata“ („Das befreite Bethulien“). Ansonsten Klage, Trauer, Aufbegehren sowie theologische Diskurse.

Mit dem fast unbekannten geistlichen Oratorium des 15-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart überrascht die Potsdamer Winteroper 2014 ihre Zuschauer. Seit nunmehr zehn Jahren ist die Opern-Kurzsaison im November/Dezember zugange. Neben den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci hält die Winteroper, die von der mit dem Hans Otto Theater kooperierenden Kammerakademie Potsdam verantwortet wird, verstärkt Musiktheater-Raritäten bereit. Im vergangenen Jahr setzte man Händels „Jephta“ auf den Spielplan, in diesem Jahr Mozarts Jugendwerk. Der Spielort, die italienisch anmutende Friedenskirche, gilt jedoch nicht als ein üblicher Ausweich für das sich in Sanierung befindliche Schlosstheater im Neuen Palais. Mit ihrem wunderbaren Ambiente und der ausgezeichneten Akustik erweist sie sich als eine treffliche Spielstätte für Inszenierungen von Opern, für die Librettisten und Komponisten ihre Geschichten vorrangig im Alten Testament fanden. Für das kommende Jahr ist ebenfalls ein unbekanntes Oratorium geplant: „Cain und Abel“ von Alessandro Scarlatti.

Wolfgang Amadeus Mozart schrieb 1771 im Auftrag von Don Giuseppe Ximenes, Fürst von Aragon, „Betulia liberata“. Im Jahr zuvor entstand „Mitridate“, 1772 „Lucio Silla“. Der Adlige benötigte für die Karwoche in Padua Kompositionen, die sich mit religiösen Themen befassten. Er übergab Mozart den damals sehr gängigen Text des berühmten Dichters Pietro Metastasio, der die alttestamentarische Erzählung aus den Apokryphen um Judit und Holofernes für ein Libretto adaptierte. Ob das Werk jemals zu Mozarts Zeiten aufgeführt wurde, ist unbekannt. Aber immerhin hatte er ins Auge gefasst, sich mit diesem Opus im Jahre 1784, also 13 Jahre und rund 350 Werke später, bei der Wiener Tonkünstler-Societät vorzustellen. Letztlich jedoch wählte er ein anderes Werk, weshalb „Betulia liberata“ für sehr lange Zeit keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Für „Betulia liberata“ wurden Regisseur Jakob-Peters-Messer und Bühnenbildner Markus Meyer, der auch die Sängerinnen und Sänger einkleidete, verpflichtet. Gegenüber der „Jephta“-Aufführung verschlankte man die jetzige Inszenierung in ihren technischen Ausmaßen deutlich, sodass denkmalpflegerische Belastungen des kostbaren Kirchenraums eingeschränkt sind. Meyer ließ in ihm ein Dreieck bauen, dessen spitzer Winkel bis zu den Zuschauerreihen ragt – den jüdischen Gottesnamen Jahwe und das Auge Gottes symbolisierend. Umfasst wird das Dreieck von einem Schlangengerippe, das mit aller Kraft sich noch einmal aufbäumt, um Tod und Zerstörung zu bringen. Die Schlange gilt aber seit der Schöpfungsgeschichte auch als Symbol der Verführung des Mannes durch die Frau. Auf der Dreiecksfläche spielt sich die Geschichte ab. Die eigentliche Handlung, die Begegnung zwischen Judit und Holofernes, lassen der Librettist und der Komponist jedoch hinter den Kulissen. Die Täterin erzählt den Hergang später in einer Arie. Überhaupt reiht sich im Oratorium Arie an Arie, dazwischen Rezitative und wenige Choreinwürfe. Sie werden kaum gefüllt mit äußerlichen Aktionen oder aktuellen politischen Andeutungen. Peters-Messer lässt auch keine Hektik aufkommen, nur in Maßen beim Kampf der Bethulier um das tägliche Wasser. Die Haltungen, die Gefühle der Personen werden mit feiner Psychologisierung kammerspielartig auf die Bühne gebracht. Der Regisseur baute in die Handlung einen Chronisten (Michael Ihnow) ein, der das Geschehen kommentiert sowie theologische und philosophische Impulse gibt. Auf seine tänzerischen Begleitfiguren, die lediglich illustrierend wirken, könnte man indes verzichten.

Einen musikalischen Hochgenuss auf der ganzen Linie brachte am Premierenabend Antonello Manacorda mit der Kammerakademie Potsdam, dem Solistenensemble und dem Chor der Winteroper (Einstudierung: Ud Joffe) in die Friedenskirche. An Schwung, an musikalischer Zugespitztheit fehlt es Manacorda sowieso nicht, hier ließ er auch mit allerfeinster Qualität die empfindungsreiche Partitur Mozarts leuchten. Das Orchester im hohlen Raum des Dreiecks musizierend, wusste mit Klangkultur farben- und abwechslungsreich zu spielen. Zudem begleitete es die ausdrucksstarken Sängerinnen und Sänger mit Geschmeidigkeit. Allen voran die Altistin Bettina Ranch. Mit innig flutendem Gesang gab sie die innere Zerrissenheit, den hoffnungsvollen Glauben oder die Selbstbewusstheit der Judit zu Gehör. Die Sopranistin Robin Johannsen stand ihr in nichts nach. Mit intensivem Gesang und blendend geführten Koloraturen brachte sie die leidende und kämpferische Adlige Amital auf die Bühne und Anicio Zorzi Giustiniani als Fürst Ozia von Bethulien brillierte schwerelos in atemberaubenden Tenorhöhen. Auch die kleinen Partien wurden adäquat besetzt, so mit Marie Smolka und Silvia Hauer als Anführer des Volkes sowie mit Istvan Kovács, der den Fürsten der Ammoniter, Achior, sang. Das Publikum dankte mit langanhaltenden Ovationen.

Wieder am Freitag, dem 5., und Samstag, 6. Dezember, um 19 Uhr in der Friedenskirche Sanssouci.

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