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Was kann es Schöneres geben, als einen ausgiebigen Dukatenregen? Volpone (Wolfgang Vogler) lässt sich von Mosca (Holger Bülow, links) und Nano (Eddie Irle) verwöhnen.

©  HL Böhme/HOT

Kultur: Spiel mir den Tod

Wenn Fuchs und Schmeißfliege Schabernack treiben – Premiere von „Volpone“ am Hans Otto Theater

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Dieser Fuchs ist eigentlich ein Wolf, oder nein: eine Hyäne. Grau das strähnige lange Haar, Zähne angefault, die Augen rot im bleichen Gesicht. Dass die Besucher dieses Volpone in ihm den Tod kommen sehen, will man als Zuschauer gerne glauben: Wir sehen ihn auch. Schon bevor Volpone sich für seine Gäste „herausputzt“ – das Laken beschmiert, das Hemd befleckt, Puder ins Gesicht klebt, Hauptsache schön eklig – glaubt man ihm die beginnende Verwesung.

In der Stückvorlage des Shakespeare-Zeitgenossen Ben Jonson ist Volpone ein Spieler unter Spielern, einer der sich als todkrank verkleidet, um sich am ebenfalls gespielten Mitleid seiner Besucher – alles potenzielle Erben – zu weiden. In der Inszenierung von Tobias Wellemeyer, die am Samstag Premiere feierte, spielt Volpone den Tod nicht vor – sondern er spielt mit ihm, und zwar auf Augenhöhe. Sein Volpone (Wolfgang Vogler) ist einer, der schon zu Beginn eigentlich am Ende ist – und deswegen umso lustvoller, rücksichtsloser spielen kann. Eine von Anfang an irgendwie jenseitige Gestalt, die sich mit der grimmigen Leidenschaft eines am Leben hängenden Zombies im Diesseits suhlt solange er eben kann, ohne Rücksicht auf Verluste. Je überzeugender er den Kranken mimt, desto mehr erinnert sein barock wallendes Hemd an ein Leichenhemd.

Auch die Bühne nimmt diese Perspektive, den Blick zurück, auf. Volpone wird als einer der reichsten Männer Venedigs beschrieben – doch der Palast, den Harald Thor auf die Bühne gestellt hat, hat ganz offenbar die besten Jahre schon hinter sich: zwei hohe vergilbte Spiegel an den Seiten, in der Mitte eine staubige Fensterzeile, von der hohen Decke hängt die Tapete in Lappen herunter. Die Goldtaler, in denen sich Volpone anfangs duschen lässt, mischen sich mit vereinzelten Laubblättern, und über die Szene wabert Bühnennebel. Im Grunde ist dieser Palast eine Gruft. Als solche wird er später auch genutzt, wenn Volpone sich ausgetobt hat und seinem Spaß mit der Inszenierung seines eigenen Todes die Krone aufsetzt. An dieser Düsternis, dieser grimmigen, schäbigen Gegenwart des Schon-Vorbei, reibt sich die Komödie „Volpone“. Darum funktioniert sie auch, und wie.

Von der ersten Szene an gibt die Regie ein Tempo vor, als würden Volpone und sein Diener Mosca (Holger Bülow) eben dieser Düsternis mit allen Mitteln davonpreschen wollen. Auserkorene Ablenkung für die beiden ist der Spaß daran, die verschiedentlichen Besucher – Erbschleicher allesamt und nicht zufällig nach fiesen Vögeln benannt – in ihrer Heuchlerei bloßzustellen und nebenbei auszunehmen. Da wären der „Geier“ Voltore (Jon-Kaare Koppe), Advokat, sowie der selbst schon klapprige „Rabe“ Corbaccio (Michael Schrodt) und die „Krähe“ Corvino (René Schwittay). Alle kommen, um sich einerseits mit Geschenken anzudienen und andererseits die Zeit bis zum herbeigesehnten Ableben des Volpone abzuschätzen („Wann fallen endlich seine Schleimlochaugen zu?“) – und womöglich ein bisschen mitzuhelfen. Diener Mosca hält dabei die eigentlichen Fäden in der Hand: Jedem verspricht er, dass er der alleinige Erbe sei und dass es mit seinem Herrn Volpone nun aber ganz gewiss und sehr bald zu Ende gehe. Zur Veranschaulichung führt er auch mal den Hintern des Kranken vor, verpasst diesem ziemlich unzart ein Fieberthermometer und presst ein Kissen auf das Gesicht des vorgeblich Kranken, um dessen Schwäche zu zeigen. Der röchelt, schnieft, hustet, prustet was das Zeug hält und fährt ab und an das Kopfteil seines Krankenbetts hoch, wodurch er aufersteht wie ein Zombie aus der Grube.

Alles in diesem „Volpone“ ist groß, laut, raubeinig – und stimmig: von der Übersetzung (Simon Werle) über die Charaktere (mit gnadenloser Spielfreude überzogene Fabeltiere, übersetzt ins vage Zeitgenössische) bis hin zur Musik. Immer wieder peitschen Balkan-Pop-Rhythmen die Szenen voran. Und es funktioniert: Bis zur Pause ergibt das Brüchige der Bühne und des Volpone zusammen mit dem Slapstick-Komödiantischen der Inszenierung, das zu bissig ist, um nur Klamotte zu sein, tatsächlich eine beinahe explosive Mischung.

Das liegt vor allem an der ungezähmten Spiellust des Ensembles, das wie schon in „Der Revisor“ oder „Iwanow“ offenbar wild entschlossen ist, in den verstärkt im Spielplan vertretenen Komödien zu zeigen, was es kann – und dass es zusammen kann. Zusammengehalten aber wird „Volpone“ durch den „Parasit“, den „Clown“, den „Spast“ – die „Fliege“ Mosca. Holger Bülow zeigt hier, dass er nicht nur das jungenhaft Verliebte („Die Kameliendame“) oder Verzweifelte („Der Turm“) kann, sondern das Gehetzte, Gehässige, sogar Gefährliche. Mosca spielt er als einen aufstrebenden Mafioso, in rotem Hemd und Goldkettchen, mit gespielter Untertänigkeit, sich in nervösen Zuckungen und FFFFF-Fliegengeräuschen bahnbrechender Gemeinheit und Anflügen von großkotziger Gefälligkeit. Er, und nicht sein Herr Volpone, ist derjenige, der sich hier um Kopf und Kragen spielt; im Gegensatz zum Fuchs weiß die Fliege von ihrer Ersetzbarkeit. Natürlich spekuliert auch er auf das Erbe, dafür rackert er sich ohne Ende für seinen Herrn ab, tanzt, springt, intrigiert. Fast hätte man es ihm gegönnt.

Doch am Ende kriegt keiner was, die Moral siegt. Zwar trägt die Rechtssprechung hier das Kostüm der Carabinieri, wird also beileibe nicht als höchste moralische Instanz behauptet. Und doch verpufft im eher betulichen zweiten Teil die Energie des ersten, trotz oder vielleicht auch wegen immer unübersichtlicher und banaler werdender Wendungen im Plot. Das Versprechen des ersten Teils kann der zweite nicht halten. Nach der Pause ergeben sich einige Längen in der sonst dichten Erzählung. Auch der zusätzliche Erzählstrang von Freiherr von Halbwerth (Christoph Hohmann) und Junker Tischfuß (Friedemann Eckert) trägt dazu bei, dass man zunehmend die Orientierung (und damit tendenziell auch das Interesse) verliert. Wenn das Ensemble sich am Ende zum Musical-Showdown zusammenfindet, löst sich die oben beschriebene Spannung einfach einen Tick zu sorglos in Wohlgefallen auf. Dennoch verdiente Bravos am Ende, für die Fliege und ihre Hyäne, pardon, den Fuchs.

Wieder am 19. und 28. Mai, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater

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