Kultur: Spielbälle der Gefühle
Die Kompanie Cirque Bang Bang jonglierte in der Potsdamer fabrik über das Beziehungsleben
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An verschiedenen Ecken der Bühne taucht aus der Dunkelheit ein jonglierender Schatten auf. Dazu Post-Rock-Musik, die an das Anfahren eines Zuges erinnert. Aus dem Schatten werden zwei, sie winken sich zu. Elsa Guérin und Martin Palisse vom Cirque Bang Bang, auf das Jonglieren der kleiner weißer Bälle konzentriert, rennen und drehen sich, ohne den anderen aus dem Blick zu verlieren. Bei ihrer Deutschlandpremiere in der Potsdamer fabrik erzählt das Duo aus Frankreich am Samstagabend von den Facetten einer Liebesbeziehung – durch das Prisma der Jonglage.
Einer schmeißt die Bälle hin, damit jeder für sich alleine weiterjonglieren kann. Mal liegen die Bälle auf der Stirn, kleben auf den Ohren, auf den Füßen, um schließlich wieder durch die Luft zu tanzen. Beide stehen dicht nebeneinander, ihre Arme greifen in den Bewegungskreis des Partners: Vier Hände werfen Bälle in großer Enge und Geschwindigkeit. Die Musik wird immer intensiver, bricht schließlich ab.
Im schwachen Licht der Mund von Elsa Guérin rot zugeklebt. Mit dem langem Klebeband umwickeln sie Hand-und Fußgelenke, fesseln im gegenseitigen Einverständnis, bis zur Bewegungsunfähigkeit, die Arme an den Oberkörper. Ein Kuss, ratlose Blicke und erste ungelenke Hüpfer. Beide fallen, robben und versuchen unter Ächzen, einen Ball zu ergreifen. Ihre Verzweiflung ist echt und komisch zugleich. Elsa Guérin und Martin Palisse haben die Kunst des Theaters und der Clownerie gelernt. Durch die ständigen Versuche, trotz der Behinderung weiter zu Jonglieren leiern die Fesseln aus und zerreißen hörbar.
Jetzt bekleben sie dem jeweils anderen die Augen. Ganz langsam tasten sie sich durch den Raum, halten sich dabei an den Händen. Die Musik pulsiert leise. Ihre Körper schweben durch den Raum, berühren sanft den Partner und wollen doch die Bälle nicht verlieren. Stille Momente von großer Zärtlichkeit. Dann ist es genug, die Augenbinden fallen und in räumlicher Distanz sucht das Duo Abstand voneinander.
Elsa Guérin studierte an der Clermont-Ferrand Fine Arts School und kam dort mit verschiedensten künstlerischen Ausdrucksweisen in Kontakt. Sie sang in einer Rock-Band und entdeckte 1995 das Jonglieren. Martin Palisse widmete sich früh der Artistik und Jonglage und übernahm in der Circus Creation Union leitende Rollen. Seit zehn Jahren mischt ihre Kompanie Tanz und Jonglage und trat bereits in Frankreich, Südkorea, Japan, Peru und Argentinien auf.
Sie nimmt ihr Ballspiel wieder auf. Er tritt von hinten an sie heran, gibt Rückendeckung. Seine Anwesenheit bemerkt sie kaum, sie konzentriert sich auf ihr Spiel. Er hält sie, gerät sie aus der Balance. Mit aller Kraft fängt er sie auf, hebt sie hoch, hat nur Augen für sie. Sie jongliert ungerührt weiter und rennt dann jonglierend davon. Er folgt ihr, wirft seine Bälle wieder nur für sich, immer schneller laufend. Sie stört seine Kreise, bringt ihn so aus dem Takt, dass beide fallen und sich wieder aufrappeln. Weiterjonglierend trägt er sie auf dem Rücken bis sie schließlich auf den Boden rutscht und regungslos liegen bleibt. Er hält weiter die Balance der Bälle und stellt sich auf ihren Rücken, sie robbt keuchend. Er hilft ihr hoch und beide rennen jonglierend weiter, diesmal in verschiedene Richtungen. Um dann ganz vorsichtig wieder die Köpfe aneinander zu legen, sich aneinander zu lehnen.
Gefühlsschattierungen zweier eng verbundener Menschen, die sich im wahrsten Sinne des Wortes die Bälle zu spielen. Die Harmonie zelebrieren, sich gegenseitig behindern, Grenzen austesten und auseinanderdriften. Letztlich alles nur, um Balance herzustellen, ob alleine oder zu zweit. Schwungvolle Artistik voller Poesie und Versöhnlichkeit. Antje Stiebitz
Antje Stiebitz
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