zum Hauptinhalt

Kultur: Sprechende Schatten

Gebärdensprachdolmetscher lassen Zauber von „Zwerg Nase“ auch für gehörlose Kinder entstehen

Stand:

Sie nehmen die Worte in die Hand und bewegen sich wie Schatten über die Bühne. Mal sind sie Zwerg Nase, mal die Hexe, im nächsten Moment Mutter oder Vater. Die beiden in Schwarz gekleideten Gebärdensprachdolmetscher folgen den Schauspielern auf dem Fuße – ohne ihnen im Wege zu stehen. Nichts geht von der künstlerischen Wirkung der Märcheninszenierung „Zwerg Nase“ verloren. Vielmehr bringen die beiden wendigen Gestalter eine ganz eigene Facette ein. Wenn die Musik erklingt, bewegen sich ihre Körper sanft zum Rhythmus, die Hände gleiten wie Flügel durch die Luft, als spielten sie voller Hingabe Klavier. Gudrun Hillert und Christian Pflugfelder sind „Körperpoeten“, die seit neun Jahren im Hans Otto Theater gehörlosen Menschen den Zugang zur Kunst ermöglichen. „Wir sind ein eingespieltes Team. Jeder beschäftigt sich im Vorfeld per Video eingehend mit dem Stück und einen Tag vor der Aufführung besprechen wir gemeinsam, wer welche Rolle übernimmt“, sagt Christian Pflugfelder.

Ihr Agieren auf der Bühne ist durchaus nicht selbstverständlich. „Die wenigsten Theater bieten überhaupt Vorstellungen für Gehörlose an – und wenn, dann darf der Dolmetscher nur am Bühnenrand stehen, weil der Regisseur um die Ästhetik seiner Inszenierung fürchtet“, so Pflugfelder. Derart im Abseits lassen sich aber für die Zuschauer Schauspiel und Übersetzung kaum zu einem Ganzen verschmelzen. Potsdam ist eine Ausnahme. Für alle Altersgruppen finden mehrmals im Jahr spezielle Vorstellungen statt, die bereits ein Stammpublikum haben.

Heike Müller und Claudius Falkenberg sind gestern mit ihren Schülern von der Berliner Ernst-Adolf-Eschke Schule angereist, weil es in ihrer Stadt solche Angebote kaum gibt. „Wir kommen seit Jahren hierher und sind jedes Mal begeistert. Das Sensationelle ist, dass die Dolmetscher mit auf der Bühne stehen und neben dem Text einfühlsam auch die Stimmung des Geschehens einfangen.“ Wenn der Wind bläst, zeigen sie, ob er schmeichelt oder Angst macht.

Birgit Schneider von der Wilhelm von Türk Schule Potsdam – der Förderschule des Landes Brandenburg – begleitet die Schüler der 1. bis 8. Klasse zur Vorstellung. Sie weiß auch durch ihren gehörlosen Sohn, dass sich die Kinder oft ausgegrenzt fühlen und gerade kulturelle Angebote kaum nutzen können. „Es gibt zwar auch Filme mit Untertiteln, aber das schnelle Lesen fällt ihnen schwer. Unser Förderverein hat uns jetzt eine Harry Potter-Vorstellung mit Gebärdendolmetschern finanziert: Das war das erste Mal, dass unsere Kinder mit anderen gleichzeitig einen Film erleben konnten.“ Und gerade über solche Ereignisse, wie jetzt auch das Theater, reden die Kinder noch lange. „Wir sind dankbar, dass es so etwas gibt und finanziert wird. Es ist ein sehr intensives Erlebnis, das in der Nachbereitung den Unterricht von selbst trägt. Fast wie ein Weihnachtsgeschenk.“

Die Schüler kommen schließlich mit hoch roten Gesichtern aus der Vorstellung. Für die 14-jährige Madeleine war es etwas zu viel: „Ich habe Kopfschmerzen bekommen. Aber die Geschichte hat mir gefallen. Auch die 6-jährige Alisa und die 12-jährige Maria strahlen. „Es war sehr schön.“ Besonders begeistert ist Paul: „Alles hat zueinander gepasst, es war super interessant anzuschauen. Den Donner beim Hexen-Zauber habe ich richtig gespürt.“ Für ihn war es das erste Mal, dass er eine Theaterinszenierung mit fliegenden Händen sah. Der 14-Jährige ist neu an der Potsdamer Schule. Bis zur 2. Klasse konnte er noch hören, und manchmal ist er traurig, dass er nicht alles mit erleben kann wie seine hörenden Freunde.

„Geht und werdet glücklich. Aber vergesst die Einsamen nicht“, sagt am Ende von „Zwerg Nase“ der Zauberer Wetterbock. Diese Worte klingen nach.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })