
© Manfred Thomas
Von Richard Rabensaat: Spröde Erdigkeit
Durch „Tanagra“ weht ein Hauch altes Griechenland: Zu sehen sind im Pavillon auf der Freundschaftsinsel Tonfiguren
Stand:
Hände greifen in matschigen grauen Ton und beschmieren eine Konstruktion aus Holzzweigen und Papier. In der Ausstellung „Tanagra“ im Pavillon auf der Freundschaftsinsel in Potsdam zeigt ein Film, wie ein selbst gefertigter Brennofen für Ton entsteht. Uralte Technik und ein schönes Gedicht sind der Ausgangspunkt der Ausstellung. Skulpturen und Fotos von sechs Künstlerinnen und drei Künstlern versammeln sich unter dem Titel „Tanagra“. Der Dichter Rilke benannte ein Gedicht über das Ewige im Vergänglichen nach dem Ort in Griechenland. Zwei kriegswichtige Schlachten lieferten sich Spartaner und Athener dort vor 400 Jahren. Außerdem verstanden die alten Griechen es, schöne Terrakottafiguren zu brennen und so zu vergraben, dass sie im Jahr 1874 gut erhalten ausgebuddelt werden konnten, nachdem ein Bauer sie beim Pflügen zufällig entdeckt hatte.
Ebenso wie für Rilke sind die Funde für die Potsdamer Ausgangspunkt verschiedener Bildnisse über Werden und Vergehen. „Die Fotos von den schreienden Menschen konnte ich einfach nicht vergessen“, sagt Gabriela Welter. Nachdem eine Fotoausstellung über den Krieg in Afghanistan sie stark beschäftigt hatte, überlegte die Bildhauerin, wie sie die Schrecken, die sie beim Betrachten der Bilder empfundenen hatte, darstellen könne. Mit dem Ton wählten sie und die anderen Künstler nun ein Medium, das in seiner spröden Erdigkeit dennoch einen beträchtlichen Formenreichtum ermöglicht. Ein Hauch aus dem alten Griechenland weht zudem herüber, wenn die Künstler sich ihren Ofen selber nach historischem Vorbild anfertigen. Mit dem Brennen der Figuren, durch das dabei verwendete Feuer, würden sich die Bildhauerinnen ein Grundelement des Lebens zu nutze machen, erläutert die Kunsthistorikerin Almut Andreae. „Ich wollte die Zerrissenheit der Menschen heute zeigen. Die Technik mit der Patina von Jahrhunderten ist dazu gut geeignet“, bemerkt Welter. Es sei einiges Experimentieren notwendig gewesen, um den ohnehin fragilen Tongesichtern gerade den zerfurchten Ausdruck zu verleihen, den sie in der Ausstellung zeigen. Um die blaue Farbe der Augen zu fixieren, griff Welter auf eine Rezeptur zurück, die schon seit 2000 Jahren bekannt ist. Extrem zerbrechlich seien die Figuren, aber das mache auch ihre Besonderheit aus.
Nicht weniger fragil, dazu noch völlig unkalkulierbar sind die Skulpturen von Rainer Fürstenberg. Sie entstehen vor Ort, haben eine Verfallszeit von wenigen Minuten. Seifenblasen perlen aus einer Badewanne, die unter der Decke des Ausstellungsraumes hängt. Ein Gebläse fördert die vielfarbig schimmernden Kugeln zutage, schnell verflüchtigen sie sich und werden zu einem weißen Schaum auf dem Boden. Auf den grauen Bodenkacheln liegen auch aus Ton gebrannten Fragmente einer männlichen Figur von Harald Müller. Finger, ein überdimensionales Gesicht, das dem Betrachter fragend entgegen blickt. Ein friedlicher Schläfer liegt dort jedenfalls nicht, eher ein in seine Teile zerbrochener Mensch. Eine harmonische Gesamtkomposition ist dagegen das Ensemble „Träume“ von Heike Pfitzner-Adner. Um eine stehende Figur gruppieren sich trichterförmige Elemente. Ausgeführt in schlichtem Weiß scheinen die am Ende spitz zulaufenden Formen einen unhörbaren Ton zu verkünden, ein Bild, wie im Traum erdacht. Das Ensemble korrespondiert recht schön mit den sensibel polierten Tafeln von Ulrike Rumpenhorst. Sie seien ganz leicht, die schwer wirkenden vielfach geschichteten Tafeln aus Gips, Wachs und verschiedenen anderen Materialien. Durch Zerkratzen und erneutes Aufbringen vieler Schichtungen seien die zunächst ruhig wirkenden Flächen entstanden, erklärt Andreae.
Lebendig flackern dagegen bei der Eröffnung die Holzfeuer in Eisenschalen vor dem Pavillon. Nachdem das Feuer im Brennofen aus dem Film erloschen ist, zerstören die Künstler ihr Brennwerkzeug wieder.
Zu sehen bis 29. November, Mi bis So 11 bis 17 Uhr.
Richard Rabensaat
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