zum Hauptinhalt

Von Peter Buske: Sprödigkeit trifft Wärme

In der Friedenskirche stillte ein „Transalpiner Gedankenaustausch“ die Sehnsucht nach Italien

Stand:

„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub die Gold-Orangen glühn, ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht“, fragt Mignon in den von Johann Wolfgang von Goethe verfassten Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ ihren Geliebten und gibt selbst die Antwort: „Dahin möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.“ Mit seinem Bestseller der „Italienischen Reise“ wird der spätere Dichterfürst gar zum Trendsetter für die Suche nach jenem Land jenseits des Brenners, das für weitere Dichter und Denker, Musiker und Maler, Monarchen und Minister, Architekten und Baumeister zum Ziel ihrer Sehnsüchte werden sollte. Ganz im Gegensatz zu Heinrich IV., der im Jahre 1077 im Büßergewand vor Papst Gregor VII. erscheinen musste, um in Canossa vom Kirchenbann erlöst zu werden. Wahrlich ein sehr unfreiwilliges Italienverlangen.

Ausgeprägt ist es dagegen bei Musikern. Mendelssohn Bartholdys „Italienische Sinfonie“ klingt nach sonnigem Süden. Wagner empfängt hier Inspirationen für seinen „Ring“, will gar in Venedig seinen Altersruhesitz nehmen. Erweiterung ihres musikalischen Horizonts heißt die Devise der Musices aus Nordland. Doch auch umgekehrt verlaufen die Pilgerwege und so zieht es zahllose Musenzöglinge an den habsburgischen Kaiserhof nach Wien. Mit solchem „Transalpinen Gedankenaustausch zwischen Emotion und Intellekt“ beschäftigte sich das Konzert der Reihe alter Musik in Potsdam „Harmonia mundi – Musica coelestis“, zu der „Die kleine Cammer-Music“ am Sonnabend in die Friedenskirche eingeladen hatte. Tags zuvor gab es bereits eine Einführung nebst Konzert im Bürgerhaus am Schlaatz.

Im Mittelpunkt der musikalischen Betrachtungen steht die Sonatensammlung „Armonico Tributo“ von Georg Muffat (1653-1704), die dieser 1682 als Opus 1 in Salzburg drucken lässt. In ihnen hat der deutsche Komponist französischer Herkunft stilistische Heimateinflüsse mit denen Italiens zu Klangneuem verwandelt. Alle Sonaten zeigen sich als eine Folge von Tanzsätzen, in denen es eine Fülle von Grave-Variationen zu bestaunen gibt. In der g-Moll-Sonate II sind es gar fünf dieser gewichtig daher schreitenden Sätze. Die mit historischer Spielweise bestens vertrauten Instrumentalisten sorgen unter Anleitung des Violinisten Wolfgang Hasleder für ein Höchstmaß an klanglicher Transparenz, für eine intelligente Auslegung der Notentexte und kontrastbetonte Abfolge der kurzen, kurzweiligen Sätze. Kenner und Liebhaber der Hörergemeinde wissen solches emotionserweckende und verstandeserforderliche Musizieren zu schätzen.

Als Besonderheit des Instrumentariums fallen drei nachgebaute Gamben optisch und klanglich auf: eine Altgambe, flankiert von einer traditionellen siebensaitigen Bass-Gambe und ihrem sechsaitigen Pendant, das sich als ein vom Potsdamer Gambenbauer Valentin Oelmüller zurück gebautes Violoncello entpuppt. Alle drei (Friederike Däublin, Kathrin Sutor, Sarah Perl) erzeugen einen sonoren, softigen Klang voller Wärme. Sie klingen in allen Grave-Sätzen zunächst unisono, unterstützt vom spröden, durchdringenden, vibratofernen Ton des Geigenduos (Rahel Mai, Violine II). Unmerklich, geradezu auf verschlungenen Wegen entwickelt sich die Mehrstimmigkeit, wird aus gewichtigem Grave-Schreiten tänzerische Vielfalt. Klar im Klang und in den Konturen, mit hinreißender Musikantenlaune entstehen und vergehen kontrapunktische Verstrickungen und Wechselreden zwischen den streichenden Parteien. Das Cembalo (Sabine Erdmann) hält sich dabei diskret im klanglichen Hintergrund, liefert sehr souverän und stilkundig die Continuo-Stütze. Die Allegri gelingen insgesamt sehr forsch, drängend und voll der nachdrücklichsten Rhetorik, die Adagii ergreifend schlicht und schön.

Hochkonzentriertes, äußerst lebendiges und spannungsreiches Musizieren bestimmt auch die Wiedergaben der „Mitreisenden“: Giovanni Legrenzi, dessen Werke den Weg nach Wien finden, ist mit seiner Sonata V für vier Stimmen vertreten; der zunächst in Venedig wirkende und dann wieder nach Deutschland zurückgekehrte Johann Rosenmüller begeistert in seiner Sonata VII mit überraschenden, sehr modern wirkenden harmonischen Eingebungen. Ein virtuoses Saitenfeuerwerk entfacht Arcangelo Corelli in der Ciaccona aus der G-Dur-Sonate. Das kunstvolle Fugenfinale in Gestalt einer Passacaglia aus Muffats Sonata V leitet schließlich zum Nachtgespräch mit Helene Harth von der Universität Stettin über „Italien als Sehnsuchtsland der Deutschen von Goethe bis Hans Werner Henze“ hinüber. Danach kennt man „das Land, wo die Zitronen blühn und die Gold-Orangen glühn“ wieder etwas besser.

Peter Buske

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })