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Kultur: Spuk des Kalten Krieges

Ein Recht auf Gewalt? Filme zum Algerien-Krieg

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Ein Recht auf Gewalt? Filme zum Algerien-Krieg Keine Minute dauerte es bei der Vorführung der Dokumentarfilme über den Algerienkrieg (1954 bis 1962) am Mittwoch im Filmmuseum und ein mulmiges Gefühl stellte sich ein. Dieses flaue Magendrücken erzeugten jedoch nicht die dargestellten Fakten, die der heute hochbetagte DDR-Dokumentarfilmer Karl Gass für seine filmische Begleitung des algerischen Befreiungskampfes von der 130 Jahre währenden französischen Kolonialherrschaft aufbereitete. Die Bilder von der Wüstensonne der Sahara ausgemergelten Kämpfer, die zunächst einen Eisenbahnzug vom Gleis sprengen und dann „einen neuen Kampfauftrag“ erhalten und ein französisches Fort erfolgreich stürmen, sind es nicht, die den Zuschauer emotional ergreifen. Es ist die heute aberwitzig klingende Tonspur, auf der ein Sprecher sich in pathetischer und heroisierender Propaganda ereifert, wie mutig, wie aufrecht die algerischen Soldaten sich nur mit Mauleseln gegen die übermächtigen Besatzer zur Wehr setzen. Untermalt mit einer die gesamten eineinhalb Stunden der Vorführung im Gehör raspelnden suggestiven Filmmusik, bei Heldentaten aufpeitschend, bei Bildern der armen, geknechteten Bevölkerung melodramatisch, klammerte sich der so gequälte Zuschauer an den blauen Sessel. Er wurde Zeuge stumpfer zeitgenössischer Staatspropaganda, bei der auch der Hinweis nicht fehlte, den 13. August 1961, also den Mauerbau, rechtfertige schließlich auch der Schutz vor den berüchtigten Söldnerwerbern der Fremdenlegion, die unzählige junge Westdeutsche mittels Cognac ausschalteten und in den Krieg verschleppten. Der damalige Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Willy Brandt, dem man sicherlich keine imperialistischen Neigungen unterstellen kann, findet man als Kollaborateur eines Völkermordes wieder. Plötzlich war Kalter Krieg im Vorführraum. Nun kann ein Filmmuseum jede noch so verzerrte Zeitdokumentation präsentieren, solange es seine Aufgabe wahrnimmt und sich um eine Einordnung in den aktuellen kritischen Diskurs bemüht. Überraschend war allerdings, dass nach einem warmen Applaus für die gezeigten Filme ohne einen distanzierenden Kommentar in die Diskussion übergeleitet wurde. So verfestigte sich der Eindruck, dass statt einer medienkritischen Auseinandersetzung die tendenziösen Aussagen der Gass“schen Dokumentarfilme als historisches Faktum betrachtet werden. Und als solches stellten sie die Grundlage des Gesprächs in der Moderation des neuen Intendanten des Hans Otto Theaters, Uwe-Eric Laufenberg, dar. Es verwunderte nicht, dass der von Filmmuseums-Chefin Bärbel Dalichow zuvor als „Nestor“ des DDR-Dokumentar-Films vorgestellte Gass Laufenbergs reihum gestellte Frage, ob es denn ein Recht auf Gewalt gäbe, mit einem „unbedingten Ja“ beantwortete. Er stehe auch heute zu seinen Filmen. Wesentlich weiser die Antwort des französischen Filmemachers René Vautier, für den diese Frage immer auch mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung verbunden sein muss. Vautier, der mit Gass zusammenarbeitete, stand auf der Abschussliste der Franzosen, war wegen seiner Filme in Haft und wurde von Algeriern gefoltert. Nachdem er als 16jähriger im Zweiten Weltkrieg selbst zum Mörder wurde, hatte er der Gewalt abgeschworen und fortan auf politische Aufklärung gesetzt. Im Algerienkrieg bildete er Einheimische zu Kameraleuten aus. Die geladene „Islamismus- und Terrorismusexpertin" Sabine Kebir behauptete in der weiteren Diskussion, dass es ohne „die Oktoberrevolution in Russland, die nationalen Befreiungsbewegungen nicht gegeben“ hätte. In einer recht stalinistischen Haltung erklärte sie, dass hinter dem Tschetschenienkonflikt eigentlich ein mächtiger „wahabitisch-arabischer Einfluss“ stehen würde. Kann man es sich so einfach machen? Das Publikum echauffierte sich zu Recht über die wenig differenzierte Betrachtung. Insgesamt ein Abend, der sehr nachdenklich machte. Müsste nicht gerade die jüngste deutsch-deutsche Geschichte jeden Anwesenden gelehrt haben, dass politische Revolutionen auch ohne Gewalt möglich sind? Neben der Mauer scheint auch noch der Kalte Krieg in Köpfen herumzuspuken. Wo doch, so mit den Worten von René Vautier, Gewalt, die man auf einem Acker sät, immer hinübergetragen wird auf den benachbarten. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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