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Kultur: Staunen in digitaler Manege

„Keskusteluja“ aus Finnland zur Eröffnung von Unidram

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Na so was: Der Ball lebt. Etwas größer als eine Billardkugel nur, weiß, mit einem schwarzen Gesichtchen, sitzt er auf dem Ohr des Mannes im braunen Anzug und scheint ihm etwas einzuflüstern. Was genau, das lässt sich aus dessen Gesicht nicht ablesen – ein Geheimnis, ein unsichtbares Band zwischen Mann und Billardkugel. Der Mann dreht und wendet sich, der Ball klebt ihm unabschüttelbar am Nacken. Ist Freund, Bürde, Teufelchen.

Ville Walo heißt der Mann, der weiße Kugeln derart zu beleben vermag, dass man glaubt, sie kichern zu hören. Gemeinsam mit Kalle Hakkarainen gab der Jongleur am Donnerstag den Auftakt zum 14. Unidram am T-Werk. Nicht nur für die beiden Finnen war es die Premiere beim Festival: Auch Professor Sabine Kunst, die neue Präsidentin der Universität Potsdam, war zum ersten Mal dabei, lobte die „tolle Geschichte“ des Unidrams und wünschte allen Beteiligten viel Spaß. Die Schirmherren Jann Jakobs und Johanna Wanka ließen sich entschuldigen.

„Keskusteluja“, was zu deutsch so viel wie „Diskussionen“ bedeutet, ist der Titel des Abends. Nicht ohne Ironie wohl: denn gesprochen wird während der gut 60 Minuten kein Wort. Die Sprache, derer sich die beiden Finnen bedienen, ist die der Körper, Bewegung, Videokunst, Filmzitate und Musik. Dem Visuellen und Körperlichen überlassen sie in „Keskusteluja“ die Aufgabe, von der Vertracktheit der zwischenmenschlichen Kommunikation zu erzählen: Vom ewigen Dilemma, dass wir einander stets entweder zu viel, zu wenig, oder schlicht das Falsche zu sagen. Bezeichnend für die Kunstform der beiden Finnen ist, dass sie das auf der Bühne nicht im zwischenmenschlichen Dialog – auch nicht im stummen – erforschen: Es gibt kaum einen Moment, da sich die beiden direkt aufeinander beziehen. Stattdessen folgt jeder seiner eigenen Geschichte – im Zwiegespräch mit leblosen Objekten, die durch das Spiel erst zum Leben erweckt werden. Das ergibt ein handwerklich beeindruckendes Fest des Objekttheaters, genauso wie eine melancholische Absage an die Möglichkeit menschlicher Interaktion. Am Ende, hinter allen Illusionen, sind wir doch mit uns und unseren leblosen Begleitern allein. Während Ville Walo in „Keskusteluja“ mit seinem Ball kost und mit einem Telefon einen Liebestanz vollführt, der in seiner komischen Tragik an den großen Buster Keaton erinnert, taucht Kollege Kalle Hakkarainen in filmische Welten. Der Videokünstler, der auch Magiewettbewerbe gewonnen hat, verguckt sich in die Darstellerin eines russischen Stummfilms und schleicht sich in ihre Welt. Reicht ihr einen Zettel in die Leinwand, der dann wieder herausfällt, flirtet stumm, tauscht schmachtende Blicke. In einer andern Szene trägt Hakkarainen einen Bildschirm vor der Brust, der ihn in einer Küche zeigt. Wie durch Wunderhand interagiert der Künstler auf der Bühne mit dem Künstler im Bildschirm: Als würde er in die eigene Vergangenheit eingreifen, lakonisch und selbstverständlich. Bühnenrealität und Filmfragmente vermischen sich, bis sich den Zuschauern die Köpfe drehen.

„Keskusteluja“ ist ein kleines ästhetisches Wunderwerk des „Cirque Nouveau“ – des zeitgenössischen Zirkus, dessen Manege nicht mehr mit Sand, sondern mit Multimedialität ausgestreut ist. Bewundernswert in seiner Präzision und seinem technischen Können sowohl in der digitalen Medientechnik wie auch in der Jonglage. Auch die Bühne – ein Tisch und zwei Stühle auf zwanzig großen Fliesen aus Pappe – ist in ihrer scheinbaren Bescheidenheit trefflich genutzt.

Letztlich ist „Keskusteluja“ gerade aufgrund dieser ästhetischen Perfektion ein multimedialer Zirkus – nicht mehr und nicht weniger. Ein Wirbel aus Bildern, Projektionen, trickreichem Können, ein Fest für die Sinne, nicht für den Kopf. Der flächig ausgelegte Sound gibt wenig Chance zum Atemholen und betont teilweise mit seinen peitschenden Rhythmen eher ein gewisses Copperfield-Feeling, als die delikate, oft auch ironische Zauberei, mit der „Keskusteluja“ eigentlich überzeugt. Leider: Magie entsteht oft an stilleren Orten.

Für das diesjährige Motto des Unidrams – „Metamorphosen und (Des-) Illusionen“ – jedenfalls hätte es thematisch kaum ein zünftigeren Auftakt geben können. Das T-Werk war auch auf den hinteren Holzbänken voll, der Applaus herzlich und ausdauernd und man ging staunend. Wie im Zirkus eben.

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