Kultur: Stille Post und andere Spiele
Christina von Braun erzählt die Geschichte ihrer Familie in einem Buch / Heute ist sie in der Villa Quandt zu Gast
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Wer kennt sie nicht, Familiengeschichten, die offiziell erzählt werden, aber dennoch versteckte Botschaften enthalten. So überrascht es nicht, dass die Autorin und Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun mit ihrem Buch „Stille Post“ ihre eigene Familiengeschichte zu entschlüsseln versucht. Interessant daran sind die zwei familiären Linien, die hier vorgestellt werden. Mütterlicherseits ist das die Familie Margis und die des Vaters von Braun, wobei Wernher von Braun, der die Raketen für Hitler baute, ein Onkel der Autorin gewesen ist. Briefe, Tagebücher und Notizen dienten der Christina von Braun als Vorlage, die durch aufwendige Recherchen im Vatikan, in Australien, Polen und den USA ergänzt wurden. In Briefform wendet sich die Enkelin an ihre verstorbene Großmutter Hildegard Margis und bemüht sich um die Klärung der verborgenen Familiengeschichten.
Hildegard Margis lernt man als eine fortschrittliche, politisch engagierte Frau kennen. Der berufliche und wirtschaftliche Erfolg dieser Witwe ist in den späten 20ern überwältigend. Sie gründet eine Verbraucherzeitschrift, einen Verlag und unterhält ihr Büro im Ullsteinverlag, wo sie für Gas und Elektroindustrie Werbetexte entwirft. Erhalten geblieben sind einige Kochrezepte aus dieser Zeit, welche die Unternehmerin als Kochbuch herausbrachte. Hildegard selbst konnte gar nicht kochen und überließ diese Aufgabe lieber dem Personal. Die Zusammenarbeit mit der Elektrobranche verlief so gut, dass Frau Margis in ihrem Berliner Haus mit der modernsten Elektrotechnik der Firma Siemens ausgestattet wurde Die elektrische Küche, ein Haustelefon in allen Räumen und mehrere Radiolautsprecher gehörten zur Ausstattung. Zwei Kinder brachte die in Posen geborene Unternehmerin zur Welt: Hilde, die Mutter Christinas und Hans. Hilde wächst zu einer lebensfrohen, jedoch anspruchsvollen Frau heran, ihre Mutter Hildegard wird viele Schwierigkeiten mit ihr bekommen. Der verfrühte Tod der Mutter 1944 in einem Gefängnis wird zu einem Geheimnis. Erst die Enkelin Christina wird den Grund für diese Verhaftung erfahren: der kommunistische Widerstand und wahrscheinlich auch die jüdische Herkunft der Mutter.
Die Geschichte der Familie von Braun führt den Leser nach Schlesien auf einen Gutshof in Oberwiesenthal. Hier war der Vater der Autorin zu Hause. Sein Bruder Wernher sollte schon seit frühester Kindheit ein Interesse an Technik gezeigt haben. Ganz anders als Sigismund von Braun, der nach einer Weltreise eine Diplomatenkarriere anstrebte. Emmy von Braun, seine Mutter, war eine sehr gebildete Frau, die über ein umfangreiches Wissen über Astrologie und Mathematik verfügte. In ihren Tagebüchern hält sie die letzten Kriegstage in Schlesien fest und beschreibt die eigene Vertreibung von dem geliebten Gut.
Die eigene Mutter bleibt für Christina von Braun das größte Rätsel. Diese gut aussehende Frau, die sich gern mit schönen Dingen und Kleidern von Dior umgab, hütete erfolgreich ihre Geheimnisse. In offiziellen Erinnerungen bleiben nur die Jahre, die sie mit ihrem Mann Sigismund in Äthiopien, Kenia und im Vatikan verbrachte. Andere Begebenheiten wie eine Liebesaffäre werden dem Tagebuch anvertraut. Daraus entsteht eine halbreale, halb-Traumwelt, in der sich Hilde mit großem Charme zu bewegen wusste. Mehrere Selbstmordversuche wie auch der Gebrauch von Antidepressiva müssen Hilde über ihr Schweigen hinweg helfen.
Es sind vor allem die Frauen, die das Erzählte in diesem Buch vorantreiben, die Männer wie der bekannte Onkel Wernher von Braun, oder Onkel Hans Margis, der nach Australien ausgewandert ist, spielen nur am Rande eine Rolle. Es war die Zeit der Frauen. Katarzyna Kaminska
Lesung mit Christina von Braun am heute um 20 Uhr, Villa Quandt
Katarzyna Kaminska
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