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Kultur: Stimmbänder wie Stahltrossen

Benefizkonzert der Sängerin Nadja Michael in der Villa Schöningen

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Um die Stadtmauern von Jericho einstürzen zu lassen, hätte es nicht unbedingt der legendären Trompeten bedurft. Die Sopranistin Nadja Michael dürfte mit ihrer Stentorstimme sicherlich den gleichen Effekt erzielt haben. Dass die Wände der Villa Schöningen ihren stimmlichen „Angriffen“ zu widerstehen vermochten , spricht für die bauliche Qualität jener Stätte der Begegnung an der Glienicker Brücke, die sich verstärkt kleinen, aber feinen kulturellen Offerten verschreibt.

Wie jenem Benefizkonzert am Freitagabend, dessen Erlös zur Unterstützung des SOS-Kinderdorfes in Berlin-Moabit bestimmt ist, speziell zur Anschaffung von Musikinstrumenten. Vom Wirken dieser Stiftung ist sie sehr beeindruckt, sodass sie beispielsweise im Anschluss an ihre Auftritte als Verdis Lady Macbeth an der Lyric Opera of Chicago dieses Institut mit der dortigen Shakespeare Company zu Kooperationen mit dem SOS-Kinderdorf Illinois bewegen konnte. Eine singende Charity-Lady und selbstbewusst-burschikose Diva.

Zunächst wollte die in Wurzen geborene und in Gerichshain aufgewachsene Nadja Michael Leistungsschwimmerin an der Kinder- und Jugendsportschule in Leipzig werden, wechselte dann aber an die dortige Spezialschule für Musik. Sicherlich sehr zur Freude der Stimmengourmets, die sich seit ihrem Karrierestart mit der Amastris aus Händels „Xerxes“ am Staatstheater in Wiesbaden an dieser voluminösen, überaus kraftvollen Stimme nicht satt hören können.

Und so singt sie an diesem außergewöhnlichen Abend nun zwei Arien des Titelhelden: das berühmte Largo „Ombra mai fui“ und die furiose Wutarie „Crude furie“. Da scheinen die Wände des intimen Raumes ob der die Hörer geradezu erschlagenden Wucht ihrer „Riesenröhre“ fast zu bersten. Den von historischer Gesangskultur und Musizierweise verwöhnten Ohren mag ihre sehr direkte, ausdrucksstarke und gestaltungsintensive Deutung beinahe wie eine barocke Gotteslästerung vorgekommen sein. Begleitet wird sie von einem Streichquartett, bestehend aus Studenten der Universität der Künste, und Pianist Douglas Braun von der Deutschen Oper Berlin.

Nachdem sie 2005 ihren Fachwechsel vom dramatischen Mezzosopran, Kundige erinnern sich noch immer ihrer grandiosen Eboli, singt Nadja Michael nur noch hochdramatische Sopranpartien wie Lady Macbeth, Salome, Medea und Fidelio. Diesen Bühnenfiguren widmet sie sich mit leidenschaftlicher Hingabe, darin vergleichbar etwa der Intensität eines Rolando Villazon. Hoffentlich weiß sie bei ihren Unternehmungen um die damit verbundenen Gefährdungen ihrer Stimmbänder, die wohl Stahltrossen gleichen müssen.

Mit ihnen schleudert sie höchst fulminant die „Suicidio“-Arie der Gioconda aus Ponchiellis gleichnamiger Oper heraus, in der sie eindrucksvoll die Vorzüge ihrer Stimme ausstellen kann. Die ungemein voluminöse Tiefe geht in eine füllige Mittellage über, die von einer grandios durchschlagenden Höhe gekrönt wird. Davon profitiert die Seguidilla der Bizetschen Carmen genauso wie die dramatische Mordarie der Cherubinischen Medea. Die Michael ist ein „Bühnentier“ wie es im Buche steht.

Etwas problematischer gestaltet sich dagegen ihr Vortrag der Wagnerschen „Wesendonck-Lieder“ zu alleiniger pianistischer Assistenz. Da Nadja Michael eine Sängerin ist, die unbedingt des inneren Hochdrucks bedarf, gelangen ihr die lyrischen und schmachtenden Lied-Töne zwangsläufig nicht sonderlich gut. Da bemerkt man plötzlich ein störendes Vibrato, gerät die Stimme mitunter außer Kontrolle, wird die Poesie gleichsam mit dem Presslufthammer zerstört. Schade.

Dafür entschädigen die Solobeiträge des Dresdner Saxophonisten Bertram Quosdorf, der unter anderem mit Variationen über Tosca im Stile des free jazz brilliert und in der „Ombra mai fu“-Zugabe zusammen mit der Sängerin für eine eigenwillige Version sorgt. Ovationen!

Peter Buske

Peter Buske

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