Kultur: Stimme als bestes Argument
Cristin Claas bei „The voice in concert“
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Die Zeit ist eigentlich reif für harte Worte, für einen Verriss. Um das Gesetz der Serie etwas freier zu interpretieren: In eine Reihe von Erfolgen gehört auch mal ein Misserfolg, quasi als Zwischenergebnis. Einfach mal kurz hochschrecken, um die gewohnte Qualität wieder zu schätzen wissen. Doch diesen Gefallen will die Belegschaft des Nikolaisaals und des Kulturradios vom Rundfunk Berlin Brandenburg einem einfach nicht tun.
Freitagabend im Foyer des Nikolaisaals das gewohnte Bild. Kaum ein Stuhl ist noch frei. Wundern würde man sich hier nur, wenn es umgekehrt wäre. Auf dem Programm der Reihe „The voice in concert“ steht Cristin Claas mit ihren beiden Begleitern Christoph Reuter und Stephan Bormann. Die Sängerin aus dem sachsen-anhaltinischen Bernburg war bisher nur einer überschaubaren Fangemeinschaft bekannt. Ihr erstes Album „Favour“erschien vor zwei Jahren beim kleinen Osnabrücker Label Acoustic Music Records und ließ aufhorchen. Da bahnte sich was an. In diesem Jahr hat sie ihr zweites Album „In the shadows of your words“ beim Majorlabel Sony veröffentlicht und noch einmal nachgelegt. Der schwedische Sänger und Posaunist Nils Landgren hat, nachdem er Cristin Claas singen gehört hatte, gesagt, dass ihre Stimme „unfassbar gut“ sei. Im Foyer des Nikolaisaals war gut zwei Stunden lang zu erleben, wie einfach und gleichzeitig so überzeugend „unfassbar gut“ sein kann.
Wenn Cristin Claas singt, hat das nicht sehr viel mit Jazz zu tun. Nur gelegentlich und umso präsenter lässt sie ihn in ihrer Stimme aufleuchten. Wäre man voreilig, würde man ihre Musik dem Pop zurechnen, natürlich nur im äußerst dehnbaren Sinne des Begriffs. So kommt man zur permanenten Grenzüberschreitung, dem wilden Stilmix und merkt schon nach wenigen Liedern, dass man auch so nicht sehr weit kommt. Bei Cristin Claas ist viel zu hören, aber eines ganz besonders: Cristin Claas.
Da ist diese Stimme, so weich, so geschmeidig, so zutraulich, dass man sich regelrecht wohlfühlt in ihrem Wirkungskreis. Dabei ist sie so harmlos wie eine Raubkatze, die auf Samtpfoten durchs Foyer schleicht. Diese feine Spannung in Cristin Claas“ Stimme wurde von Christoph Reuter am Klavier und dem Fender Rohdes und Stephan Bormann vorwiegend auf der Konzertgitarre perfekt aufgenommen, mal abgemildert, mal noch stärker verdichtet, immer wieder weitergetragen. So entstanden Lieder, mit englischen und deutschen Texten und gelegentlich in einer Claasschen Phantasiesprache, die nicht einfach nur ins Ohr, sondern viel, viel tiefer drangen. Dazwischen auch mal ein Volkslied wie „Röslein“ oder „Das Lied von zwei Hasen“, wie es junge Sängerinnen derzeit sehr gern tun. Genannt sollen hier nur Bobo in White Wooden Houses und Tuomi werden.
Das Publikum fraß der Claas da ganz schnell und bereitwillig aus den Händen, klatschte, sang und summte, wann immer es verlangt wurde. Dem konservativen Konzertbesucher, der die dunkle Anonymität in den Stuhlreihen schätzt, eine bedenkliche Entwicklung. Es kommt der Tag, da wird er wohl, auf Befehl von der Bühne, auch noch tanzen müssen.
Cristin Claas kosten solche Bedenken nur ihr charmantes, ganz feines Lächeln. Sie singt einfach, denn eine gute und eigenwillige Stimme ist noch immer das beste Argument. Das haben Claas, Reuter und Bormann dann auch ganz schamlos ausgenutzt und zum Abschied singend und musizierend ihre CDs gepriesen. Hätte diese clevere Marketingmaßnahme noch ein paar Minuten länger gedauert, mancher hätte von Cristin Claas sogar Heizdecken im Dutzend gekauft. Das Gedränge nach dem Konzert am Verkaufstisch für die Tonträger war dann auch recht ordentlich.
Dirk Becker
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