Kultur: Stimmliche Hochseilartistik im Doppel Simone Kermes und Sonia Prina bejubelt
Die Kermes-Fans waren unterwegs. Von Berlin und anderswo kamen sie am Samstagabend in den Nikolaisaal, um die Primadonna des Barock-Gesangs, Simone Kermes, zu erleben.
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Die Kermes-Fans waren unterwegs. Von Berlin und anderswo kamen sie am Samstagabend in den Nikolaisaal, um die Primadonna des Barock-Gesangs, Simone Kermes, zu erleben. Und so wurde die Sopranistin bereits beim Begrüßungsapplaus mit einem Sturm der Begeisterung empfangen. Für die Italienerin Sonia Prina fiel er zunächst noch verhalten aus. Die Altistin ist in unseren Breiten nicht so populär wie ihre deutsche Kollegin. Doch im Laufe des Konzerts wurde sie ebenfalls herzlich gefeiert.
Die Interpretationen beider Sängerinnen von Arien und Duetten barocker Komponisten waren jedenfalls gleichermaßen extrovertiert, theatralisch und schonungslos. Stimmliche Hochseilartistik und Zauberkunst hat man gern im Zirkus opera, auch ohne Bühnenbild. Doch das barockisierte Kostüm der Kermes war natürlich, wie sollte es anders sein, dem Bühnen-Effekt zugeschnitten.
Beide Damen erinnerten in ihrem Programm, das sie gemeinsam mit dem bei Padua beheimateten Ensemble La Magnifica Comunita gestalteten, an ein historisches Ereignis, das sich in den 30er-Jahren des 18. Jahrhunderts im Londoner Musikleben abspielte. Der aus Neapel stammende Nicola Antonio Porpora wurde ein erbitterter Konkurrent von Händel. Porpora im Haymarket Theatre, ein Günstling des Adels, und der vom Königshaus unterstützte Händel im Covent Garden kämpften mit ihren Opern sowie spektakulären Besetzungen um das Publikum, bis beide finanziell ruiniert waren. Porpora kehrte 1737 London den Rücken.
Simone Kermes und Sonia Prina haben im Konzert den Duellanten, doch auch Komponisten aus dem Umfeld, eine Stimme gegeben. Aber selbst lieferten sie sich kein Duell sängerischer Eitelkeiten. Beide vermochten gleichermaßen barocke Bravour mit schwindelerregenden Koloraturen eindrucksvoll zu demonstrieren. Die zumeist rasant-bewegten Arien aus „Mitridate“ oder „Polifema“ von Porpora, „Ezio“ von Gluck und Leonardi Leos „Zenobia in Palmira“ mit ihren emotionalen Höhen und Tiefen, mit den Extremen, die die Liebhaberinnen, Mütter und Helden zu durchleben hatten, vereinten vokale Dramatik und interpretatorische Extravaganz. Leider erdete Simone Kermes ihre Stimme nicht immer ohne Druck. In den Duetten aus den Händel-Opern „Rodelinda“, „Poros“ und Tolomeo“, die vor allem von sinnlicher und kontemplativer Natur sind, wussten Simone Kermes und Sonia Prina mit gemeinsamem musikalischen Einverständnis, Einfühlsamkeit und fein abgestimmten Farben zu singen. Besonders ihr warm timbriertes Piano verzauberte. Doch die Wiedergabe der Duette aus Giovanni Battista Pergolesis „Stabat mater“ wirkte so, als ob die Künstlerinnen die Musik und ihre Affekte nur darstellen, dass sie sich nicht mit ihnen identifizieren. Da wurde die Interpretation des Passionsgeschehens sogar bis an die geschmackliche Grenze getrieben.
Der Erfolg des Konzerts war nicht zuletzt das Verdienst von La Magnifica Comunita, einem Ensemble, das für den historisch informierten Klang und die lebhaft theatrale Musizierlust sorgte. In vielen Fällen agierte es sogar als wortloser Dialogpartner. Dies steigerte natürlich die Qualität des Konzerts und ließ keinen Raum für Eintönigkeit oder Routine. Bei der Interpretation von Vivaldis Violinkonzert D-Dur konnte Maestro Enrico Casazza mit einem Sturm der Affekte vor allem im dritten Satz für sich punkten und geriet damit auf Augenhöhe zu den Sängerinnen. Die waren schließlich bei den Zugaben von zwei Händel-Duetten außer Rand und Band und boten ein lustvolles zirzensisches Forma. Das Publikum jubelte. Klaus Büstrin
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