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Kultur: Stipendiat soll in die Platte

Jury dagegen/ Andreas Maier befremdet

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Jury dagegen/ Andreas Maier befremdet Er ist noch gar nicht angekommen, und schon wehen ihm die Schlagzeilen entgegen: Potsdams erstem Literaturstipendiaten Andreas Maier. Was die Gemüter erhitzt, ist seine künftige Unterkunft. Das Kulturamt möchte den Autoren nämlich in die Platte stecken: in die Waldstadt II. „Dieser Standort dürfte nicht dazu geeignet sein, Potsdams Ruhm bezüglich seiner Gastlichkeit und Kulturpolitik zu mehren. Im Gegenteil, wir befürchten, dass uns solche Unterbringung nachgerade zur Unehre gereichen könnte“, schrieb die Jury gestern mahnend an den Oberbürgermeister Jann Jakobs. „Wir bitten Sie dringend auch im Hinblick auf die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas darum, alles in Ihrer Macht stehende zu unternehmen, um Herrn Maier eine adäquate Wohnung in der Innenstadt zu vermitteln.“ Eine Nachfrage beim Kulturamt ergab, dass die Stadt über kein finanzielles Kontingent für die Stipendiaten-Wohnung verfügte und somit auf die Angebote der Wohnungsbaugesellschaften angewiesen war. „Im Grunde war ich sehr dankbar, dass wir zwei kostenlose Wohnungen zur Auswahl bekamen: eine am Schlaatz und eine in der Waldstadt II“, so Mitarbeiterin Rosemarie Spatz. Der Autor selbst reagierte auf PNN-Nachfrage zwiespältig. „Ich bin über diese Entscheidung natürlich schon erstaunt. Bei anderen Stipendien wohnte ich im Schloss Wiepersdorf, in einer Villa an der Ostsee oder in fein aufgearbeiteten Bauernhäusern. Nun muss ein Schloss nicht immer das Ideale sein, denn gerade in Wiepersdorf lenkte mich das Ambiente eher ab. Bislang war ein Stipendium aber auch noch nie ein soziologisches Experiment. Das jetzige klingt allerdings ein bisschen danach.“ Er selbst, aus Hessen kommend, habe noch nie in der Platte gewohnt. „Insofern ist es schon interessant, aber vielleicht nicht im Sinne des Stipendiums, es sei denn man verkauft es als Absurd-Stipendium. Meistens jedoch will sich eine Stadt mit ihrem Stipendium schmücken. Klar ist aber, dass mein Blick vorstrukturiert sein wird, wenn ich in der Platte wohne. Und ich betrachte die Dinge ohnehin eher etwas abgründig.“ In seinem neuen Roman soll ein größeres Kapitel in Potsdam spielen. „Vielleicht fängt es ja damit an, wie ich mit der Straßenbahn in die Waldstadt fahre“, meint er durchaus noch sehr humorvoll. Er räumte indes auch ein, dass es für Potsdam das erste Literaturstipendium sei, das die Stadt vergebe und sie insofern Pionierarbeit leiste. „Ich glaube aber, es ist nicht zu Ende gedacht.“ Für sich persönlich sehe er schon die Möglichkeit, sich auf die Platte am Stadtrand einzulassen, aber für die Zukunft rate er dringend davon ab. „Es könnte sonst passieren, dass die Stipendiaten lieber nach Hause fahren und dort schreiben. Ich bin da schon ein Spezialfall, weil ich mich auch auf absurde Orte einrichten kann. Vielleicht leide ich da, vielleicht auch nicht. Aber es könnte ebenso gut auch sein, dass ich eine geräumige Altbauwohnung in der Innenstadt habe, Tausende Autos da vorbei fahren und ich mich dort auch nicht wohl fühle.“ Den Brief der Jury finde er persönlich zwar etwas pathetisch, aber auf die Autoren insgesamt bezogen, schon richtig. Ursprünglich sollte Andreas Maier, der u.a. den ZDF-„aspekte“-Literaturpreis und den Clemens-Brentano-Preis erhielt, am 1. November nach Potsdam kommen. Doch bis dahin fand sich für ihn keine Wohnung. Nun reist er am 22. November an. In die Platte oder nicht. H. Jäger

H. Jäger

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