zum Hauptinhalt

Kultur: „Stören, um zu steigern und zu verfeinern“ Möbelcollagen in der Orangerie im Neuen Garten

Nicht immer ist eine Erbschaft Grund zur Freude. Was macht man zum Beispiel mit einem alten Küchenschrank, den man weder leiden noch gebrauchen kann?

Stand:

Nicht immer ist eine Erbschaft Grund zur Freude. Was macht man zum Beispiel mit einem alten Küchenschrank, den man weder leiden noch gebrauchen kann? Ab auf den Boden oder in den Keller oder vielleicht sogar auf den Sperrmüll? Die Prachts spielten alle Gedanken durch. Und kamen zum Glück auf eine andere Eingebung, die sich erst einmal auch nicht viel sanfter anhört. Sie griffen zur Säge und zerlegten das „Monster“. Doch dabei ließen sie es nicht bewenden: Der Bauanleitung ihrer eigenen Fantasie folgend, setzten sie das alte Stück ihrer Vorfahren neu zusammen und peppten es mit modernen Elementen auf. So verwandelten sie das ungeliebte Scheusal in einen echten Hingucker mit größtem Gebrauchswert. Und sie wurden zu Nachahmungstätern.

Das Designerpaar Fanny und Klaus Pracht, beide 80 Jahre alt, sprühen vor Begeisterung beim Erfinden immer neuer „Möbelcollagen“. Da verwandeln sie ein ausrangiertes Klavier gleich in fünf neue Möbelstücke: jedes ein Unikat mit Format. Mit den verrückten Verwandlungen ihres Spielmaterials, das sie von Oben nach Unten, von Rechts nach Links, von Innen nach Außen verkehren, wirbeln sie ganz ungeniert den Staub der Geschichte auf. Aus den alltäglichen Möbeln der Großeltern werden einzigartige Erscheinungen, die praktisch gut und voller Geheimnisse sind. Denn nicht alle Fächer geben auf den ersten Blick ihr Dasein preis.

Dass das in Hannover lebende Ehepaar ihr mit Bauhaus-Attitüden und einer Spur Heiterkeit bekränztes Mobiliar jetzt in der Orangerie des Neuen Gartens ausstellen darf, macht sie besonders stolz. Schließlich gilt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten als penibler Bewahrer kulturhistorischer Substanz und ist ganz auf Restaurierung eingeschworen. „Das bedingt aber auch, dass die Sachen es wert sind und Bedeutung haben. Wir arbeiten indes mit Elementen, die keine Achtung verdienen“, sagt der Professor, der 50 Jahre Architektur an der Universität Hannover lehrte. So erinnert sich Klaus Pracht an das drei Meter lange Buffet mit Ornamentglas und Gitterwerk, das sich wie eine riesige Klamotte vor ihm auftürmte. „Ein Mitarbeiter sagte bei diesem Anblick: ,Erschlagen, um es zu ertragen’.“ Der kreative Designer wandelte daraus die These ab: „Stören, um zu steigern und verfeinern.“ In diesem monströsen Schrank aus heller Eiche spukte förmlich noch der Geist der Hitlerzeit. „Wir haben so lange operiert, bis der Schrank mundtot war.“ Dazu schnitten sie mitten durch die Kassetten-Front des wuchtigen Möbels. „Manchmal muss man die Sprache aber auch belassen, einem meisterhaft ausgeführten Schnitzwerk beispielsweise seinen Respekt zollen.“ Bevor die Kreissäge angeworfen wird, laboriert das auch in der Sanierung verfallener Häuser kampferprobte Ehepaar ganz klein in Pappe. Erst wenn das Modell restlos überzeugt, werden die Ärmel richtig aufgekrempelt. Da sie es einst selbst im Tischlerhandwerk zu Meisterehren brachten, wissen sie genau, wie sie ihre Ideen erden können, wie sich Orgelpfeifen in Nachtschrank-Pfeiler, eine Nähmaschinenhaube zum Hängeschränkchen verwandeln lassen. „Wir genießen auch Probleme und resignieren keinesfalls, wenn nicht alles auf Anhieb klappt.“

Es sprudelt förmlich aus ihnen heraus, wenn sie Besucher durch die leider schwer zu findende Ausstellung – was im Gästebuch mehrfach kritisiert wird – führen und auf die vielen spannenden Details verweisen. Staunend schaut man auf eine Truhe, die wie ein fliegender Teppich „schwebt“, schaut, wie aus der Tastatur eines Klaviers, das sie in letzter Minute vor dem Sperrmüll retteten, Ornament-Bilder entstehen, die nun fröhlich an der Wand ein neues Lied anstimmen.

Ihre Möbel-Collagen waren schon in den verschiedensten Städten zu sehen. „Wir suchen aber nach einer ständigen Bleibe und würden unsere Arbeiten stiften, wenn sie jemand so darbietet wie hier.“ Denn es geht den Prachts nicht ums Verkaufen, sondern um Anregungen für „Innovierer“, selbst Hand anzulegen. Denn keiner ist vor einer Erbschaft sicher. Heidi Jäger

Bis 19. September, Orangerie im Neuen Garten, Di bis So, 11 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Am 24. August, 15 Uhr, stellt Klaus Pracht die Bauweise der „Möbelcollagen“ vor und gibt Tipps für interessierte „Innovierer“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })