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Kultur: Störsignale

Unidrams Lange Nacht der kurzen Stücke lud zum Pas de deux der Einsamkeit

Stand:

Manche Lebensgeschichten lassen sich in fünf Minuten erzählen. Da sitzt ein Mann vor dem Fernseher, Sommer und Winter ziehen ungesehen vorbei und schwupp sitzt er dem Tod auf der Schippe und erkennt erst als Geist die verschwendete Lebenszeit. Um dieser Sinnleere beizuwohnen, bittet Bruno Pilz, jeweils zwei Zuschauer vor seiner Mini-Guckkastenbühne Platz zu nehmen. Die rücken, ob fremd oder vertraut, auf einer Couch eng zusammen, um sich am Ende selbst in seinem Figurentheater en miniature vor die Glotze gebeamt zu sehen. Wer dem kleinen unterhaltsam-doppelbödigen Handstreich im Fluxus Museum erleben will, muss sich am Dienstagabend in einer Warteliste eintragen. Die Zeit der Überbrückung wird indes nicht lang: bei dieser Langen Unidram-Nacht der kurzen Stücke, die gleich vier Bühnen rund um den Schirrhof in Beschlag nimmt.

Nicht immer wird indes so auf den Punkt genau wie in dem multimedialen Figurentheater von Bruno Pilz eine Botschaft vermittelt. Wer sich ins „Motel“ der italienischen Gruppe Nanou begibt, ist schon mehr gefordert. Nicht jedem wird angesichts der spärlichen theatralen „Möblierung“ klar, zu was er hier eigentlich gebeten ist. Mann und Frau „tanzen“ wie in einer Endlosschleife den Pas de deux der Einsamkeit. In ständiger Hatz verändern sie ihre Position, ohne sich wirklich vorwärts zu bewegen oder sich einander zu nähern: ein Getriebensein, in der die Zeit für innige Geborgenheit auf der Strecke bleibt. Aufgestaute Emotionen werden blindlings herausgedroschen, sexuelle Begierden verdorren. Das Leben ein Motel, immer auf Durchreise? Fast penetrant wird dieses undurchsichtige, eiskalte Spiel auf die Spitze getrieben, „untermalt“ mit einem dumpfen lauten Pochen, als würde das Herz aus dem Leibe springen. Körper werden zu Möbelstücken, verrückbar, austauschbar, ohne Spuren zu hinterlassen. Störfelder, wie vor einer Katastrophe. Gern würde man sich wie die Frau auf der Bühne unter dem Tisch verkriechen und an den berührenden innigen Moment festhalten. Doch die nervige Jagd nach dem Nichts geht weiter.

Welche Bilder werden sich beim Zuschauer nach dem Ritt durch die „Short Cuts“ am Ende behaupten? Ist es diese surreale Zimmerlandschaft des „Motels“ mit ihren roten Lederpolstern oder sind es eher die Schattenrisse in dem poetisch gepflasterten Parcour „Traversèes“ des französischen Théatre de l’Entrouvert? Auch hier wird nur mit Ahnungen gespielt: aber auf eine leise, hochempfindsame Weise, die im wahrsten Sinne aus dem Rahmen fällt. Was sehen wir, wenn sich Türen ins Dunkle öffnen? Eine Zerrissenheit, die in anmutigen, weichgezeichneten Bildern eine Seelenlandschaft formt. Die auf 40 Personen festgelegte Zuschauerzahl folgt an sieben Stationen diesem Tanz der Worte: den flackernden Schattenrissen, die sich in Hände verwandelnden Füße, die behänd die Welt begreifen und alles auf den Kopf stellen. „Ich überwinde meine Zerrissenheit. Jetzt STILLE“, steht am Ende geschrieben, Worte, die vom Regen weggespült werden und zerrinnen.

Der Soundtüftler Damien Bouvet macht mit Brachialgewalt aller Stille den Garaus. Er ringt seinem weißen Körper alle nur erdenklichen Töne ab, auf die man teils auch gern verzichtet hätte. Wie ein Vogel Strauß steckt er seinen Kopf zwar nicht in den Sand, aber in sein eigenes Fleisch: seiner Klaviatur, auf die das clowneske Mannskind Herztongetöse, Aderschlagwerk, Hautharmonien herausquetscht. Sein Körper wird Resonanzboden und Verstärker; sekundiert vom lauten Lachen im Publikum ebenso wie von schulterzuckenden Ignoranten, zu denen sich auch die Schreiberin zählt. Die Zerrissenheit ergreift auch das Publikum. Doch der Vorteil dieser Langen Nacht: Jeder kann sich aus der Bilderflut „seine“ Bilder herausfischen.Heidi Jäger

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