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Kultur: Strohhalme mit Musik

„Musik schafft Perspektive – Kiezkultur“ bringt Klassik in die Schule. Laut einer Studie mit Erfolg

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Es ist selten, dass ein Orchestermusiker mit seinem Instrument in eine Schulklasse kommt. Nicht so aber in der Drewitzer Grundschule „Am Priesterweg“: Hier geben sich Musiker, Schüler und Lehrer seit Jahren die Klinke in die Hand. Das Projekt „Musik schafft Perspektive – Kiezkultur“ macht dies möglich. Musiker der Kammerakademie Potsdam kommen im Rahmen dieses Projekts immer wieder an die Schule, um Kindern klassische Musik nahezubringen. So stellen sie etwa den Kleinen ihre Instrumente vor oder basteln mit den Schülern aus einfachen Gegenständen, wie Strohhalmen oder Holzstücken, neue Instrumente. Auch Opernprojekte haben sie schon gemeinsam mit der Schule realisiert. Und in den offenen Orchesterproben der Profimusiker dürfen die Schüler sogar zwischen den Instrumentalisten sitzen und zuhören.

Diese Zusammenarbeit zwischen Schule und Orchester wurde nun erstmals in einer Studie von der Universität Potsdam wissenschaftlich untersucht. Auch die Ausstrahlung des Orchesters in den Stadtteil Drewitz hinein haben die Forscher analysiert. Denn Musiker der Kammerakademie musizieren beispielsweise auch auf verschiedenen Festen in dem Wohngebiet. Der Erziehungswissenschaftler Joachim Ludwig und seine Coautoren bescheinigen dem Orchester in der Studie einen positiven Einfluss auf die Schule und den ganzen Stadtteil Drewitz. Die Kammerakademie, so heißt es in dem Papier, unterstütze „die Steigerung der Attraktivität von Drewitz“. Das Orchester habe sich mit seiner Stadtteilarbeit der Aufgabe verschrieben, einer sozialen Entmischung im Kiez entgegenzuwirken.

Von einem „massiven Angebot“ der Kammerakademie im Stadtteil Drewitz spricht Joachim Ludwig. Massiv im Volumen, aber keinesfalls mit aggressivem Eifer kommt das Engagement des Orchesters daher. Ganz im Gegenteil: „Sehr vorsichtige Zugänge“ suche die Kammerakademie im Kiez, sagt Malte Ebner von Eschenbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität und Mitautor der Studie. Als Beispiel für diesen sanften Zugang nennt er das Projekt „Esskultur“ oder das Festival Localize.

Doch wo Licht ist, da ist bekanntlich zugleich Schatten: Die Autoren der Studie haben auch einige Defizite bei der Arbeit der Musiker in Drewitz ausgemacht und schlagen Verbesserungen vor. So empfehlen sie, stärker darüber nachzudenken, wie durch geschickte Netzwerkarbeit die verschiedenen Milieus im Stadtteil besser erreicht werden können. Befragungen der Anwohner könnten laut der Studie ebenfalls ein Mittel sein, um einen passgenauen Kontakt zu Menschen aus dem Stadtteil herzustellen. Ebner von Eschenbach sagt, es müsse künftig eine andere Zielgruppenerschließung geben. Den Programmbeirat, in dem die Aktivitäten im Kiez geplant werden, möchten die Wissenschaftler gern gestärkt sehen. Die Forscher haben eine „noch nicht hinreichende Beteiligung“ der Bürger in dem Gremium festgestellt.

Bei der schulischen Arbeit der Kammerakademie in Drewitz schauten sich die Wissenschaftler für ihre Studie die sogenannten Tandems, jeweils bestehend aus einem Lehrer und einem Musiker, näher an. Zum Teil seien die Musiker nicht darauf vorbereitet gewesen, was sie in den Klassen erwarte, sagt Ebner von Eschenbach. Auch das Rollenverständnis von Musikern und Lehrern, die gemeinsam vor einer Klasse stehen, mussten sich die Akteure im Laufe der Zeit erst erarbeiten. Einige Musiker hätten sich vom „Pädagogischen“ distanziert, und dies dem Kompetenzbereich der Lehrer zugeschrieben. Zuweilen sei es vorgekommen, dass den Musikern bei einzelnen Ideen oder Aktionen des Musiker-Lehrer-Tandems gar nicht bewusst gewesen sei, dass sie gerade Elemente der Pädagogik anwenden.

Von der guten Wirkung der Kammerakademie in der Drewitzer Grundschule zeigt sich Erziehungswissenschaftler Ludwig überzeugt: „Es verändert sich auf jeden Fall die Kultur in der Schule.“ Die Lehrer bekämen durch die Zusammenarbeit mit den Musikern einen anderen Blick auf ihre Schüler, so Ludwig. „Dadurch verändert sich so ein bisschen die Beziehungsqualität.“ Und auch den Schülern scheint es zu gefallen. „Die Kleinen waren überhaupt erst einmal begeistert, wenn ein Musiker ein Stück gespielt hat“, berichtet Farina Wagner, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Potsdamer Universität für die Studie einige Unterrichtsstunden beobachtet hat.

In der Zukunft wollen die Wissenschaftler das Musikprojekt weiterhin begleiten. In Workshops soll das „latente Wissen“ der beteiligten Akteure für die Praxis nutzbar gemacht werden, sagt Ebner von Eschenbach. Es gehe darum, das eigene Wissen der Beteiligten zu heben.

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