Kultur: Symmetrie versus Asymmetrie
Das geteilte Deutschland als Herausforderung der Geschichtsschreibung - eine Podiumsdiskussion
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Das geteilte Deutschland als Herausforderung der Geschichtsschreibung - eine Podiumsdiskussion Was wäre wenn...? Wenn beispielsweise vor 15 Jahren alles ganz anders gekommen wäre? Das DDR-System nicht zusammengebrochen wäre? Eine Möglichkeit: 17 Millionen DDR-Bürger feierten am 7. Oktober 2004 den 55. Jahrestag der DDR. Mit Wettbewerbsverpflichtungen, Ehrungen, Prämien und hochdekorierten Preisträgern. Aber vor 15 Jahren endete die DDR-Geschichte. Und eine neue Geschichtsschreibung begann. So lud das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam am 7. Oktober zu ihrer dritten Veranstaltung ein: Das geteilte Deutschland als Herausforderung der Geschichtsschreibung. In der Dialogreihe sollte den Fragen nachgegangen werden, ob die doppelte deutsche Geschichtsschreibung zwischen 1945 und 1990 besser von der Vereinigung oder ihrer widersprüchlichen Entwicklung her zu erfassen sei, ob sich die geteilte Geschichte eher aus national- oder aus blockgeschichtlicher oder europäischer Perspektive erschließen ließe und wie sich Staats-, Gesellschafts- und Erfahrungsgeschichte miteinander verbinden könnte? Die dritte und letzte Veranstaltung – Symmetrien und Asymmetrien einer Geschichte des geteilten Deutschland – moderierte Prof. Dr. Christoph Kleßmann, der den Begriff der „asymmetrisch verflochtenen Parallelgeschichte" prägte. Der erste Diskutant, Prof. Dr. Peter Graf Kielmansegg, vertrat eine asymmetrische Betrachtung der geteilten Geschichte. Die naturwissenschaftlichen Begriffe des Methodenstreites interpretierte er mit einer gleichgewichtigen bzw. einer ungleichgewichtigen Behandlung der widersprechenden deutschen Geschichten. Wie auch immer die Position des Historikers ausfalle, so bliebe es eine Methode, die sich erst durch ihren Ertrag zu legitimieren vermag. Die Position der Asymmetrie begründete Graf Kielmansegg mit der sehr unterschiedlichen Zukunftsfähigkeit der Systeme. Zukunftsfähig wäre das DDR-Modell im Gegensatz zum bundesdeutschen Modell nie gewesen, da es zu keiner Zeit ohne Rückhalt der Sowjetarmee hätte existieren können. Nur das Eingliedern in die gemeinsame bundesdeutsche Ordnung ermöglichte der DDR Zukunftsfähigkeit. Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit verwiese auf eine DDR-Geschichtsbetrachtung vom Scheitern her. Diese Perspektive käme eher einem neutralen Standpunkt gleich, dem die Frage nach der Unausweichlichkeit des Scheiterns immanent sei, so Graf Kielmansegg. Eine integrierte Geschichtsbetrachtung hielt er hingegen für ein Artefakt. Die Position einer integrierten Geschichtsbetrachtung vertrat der zweite Diskutant, Dr. Detlef Nakath. Er begründete seinen Standpunkt zunächst mit der pragmatischen Feststellung, dass es sich in beiden Fällen schließlich um deutsche Geschichte und um europäische Geschichte handle. Die „verflochtene Parallelgeschichte" untermauerte er mit der Dreiecksgeschichte Moskau-Ostberlin-Bonn. Augenblicklich, so Nakath, wäre die deutsche Geschichtsbetrachtung keineswegs gleichgewichtig. Ausgesprochen ungleichgewichtig wäre die Anzahl der Forschungsprojekte zur DDR-Geschichte (1200) und zur bundesdeutschen Geschichte. Die Abgeschlossenheit der einen Geschichte, der freie Zugang zu den DDR-Archiven und die Sperrfristen der bundesdeutschen Archive begünstigten diese Tendenz. Nakath hielt eine DDR-Geschichtsbetrachtung von ihrem Scheitern her für problematisch, da sie die kontrafaktischen Fragestellungen zu früheren Möglichkeiten der Aufhebung der Zweistaatlichkeit ausklammere. Eine Frage aus der Diskussion, ob sich beide Systeme durch die Konkurrenzsituation in der Entwicklung der Sozialstaatlichkeit befördert hätten, wies Graf Kielmansegg mit der Feststellung ab, dass die Entwicklung der Sozialstaatlichkeit in der Bundesrepublik eine Folge des Konkurrenzkampfes beider Volksparteien um die Gunst der Wähler gewesen sei. Eine Folge, die doch auch in der Gegenwart ihre Fortsetzung haben müsste?! Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
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