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Kultur: Symptomatisch

Kurt Maetzig mit Gregor Gysi im Gespräch

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Er durchlebte dunkle Nächte, wenn Verantwortung und Gewissen nicht zusammenfielen. So als aus seinem Thälmann-Film in stalinistischer Verschönerungswut durch das Mitschreiben von außen ein vorgestanzter Held aus Papier wurde. Oder als er nach dem Verbot seines wohl gelungensten Films „Das Kaninchen bin ich“ die geforderte Selbstkritik schrieb, die er für Selbstbeschmutzung hielt. Doch Kurt Maetzig, der Idealist und Irrende, stellte „das Große Ganze“, die Idee von einer besseren Gesellschaft, vor das persönliche Hadern und Scheitern.

Als er vor fünf Jahren zu seinem 95. Geburtstag im Filmmuseum gefeiert wurde, erlebten die Gäste einen klaren Denker, der dem Alter mit feinsinnigem Humor und Aufrichtigkeit begegnet. Damals schaute er auf seine Filme mit sehr unterschiedlichen Gefühlen zurück. Er sagte, dass manche wie guter Wein seien und mit den Jahren immer besser würden, doch dass die meisten leicht verderbliche Ware sind und es keinen Spaß mehr mache, sie anzusehen. Der einstige Defa-Chefdramaturg Rudolf Jürschik betonte damals in der Laudatio, dass Maetzigs bleibende Leistungen, seine Halbwahrheiten und Irrtümer gewissermaßen symptomatisch für den Defa-Film seien.

Das Filmmuseum hat in seiner jetzigen Retrospektive anlässlich des 100. Geburtstags von Kurt Maetzig den guten Wein ebenso entkorkt wie den „Fusel“. So kann man noch einmal erleben, wie in den 50er Jahren Personenkult auf der Leinwand funktionierte und Ernst Thälmann fern menschlicher Schwächen auf den Sockel bugsiert wurde. Aber es gibt auch „Die Buntkarierten“ zu sehen, eine Familiensaga von 1949, die noch immer mit ihren so einfachen Wahrheiten um das Thema Krieg und Mitläufertum anrührt. Und natürlich „Ehe im Schatten“, der kurz nach Kriegsende jedermanns Schuld thematisierte und Maetzigs eigene Geschichte verarbeitete, dessen Mutter in den Freitod ging, um nicht als Jüdin ins Konzentrationslager deportiert zu werden. Im Februar läuft dann auch „Das Kaninchen bin ich“ über den Opportunisten Paul Deister, der als Richter vor allem an seine Karriere denkt.

Morgen Abend kann man Kurt Maetzig, den großen alten Herrn mit dem präzisen Verstand, nun wieder im Filmmuseum erleben – im Gespräch mit Gregor Gysi, seinem Wunschpartner, der ihn schon am Deutschen Theater als Zeitzeugen befragte. Gysi, der nicht nur in seiner sozialistischen Geisteshaltung mit dem Jubilar auf einer Welle schwingt, sondern ebenfalls Filmerfahrung hat. Jedenfalls arbeitete der Linke-Politiker auch schon als Synchronsprecher.

Als Kurt Maetzigs zum 95. Geburtstag nach seinem Wunsch befragt wurde, antwortete er, dass Film und Fernsehen im viel stärkeren Maße ein Beitrag leisten sollten, um die drei größten Übel zu bekämpfen, die die Menschheit bedrohen: Krieg, Hunger, Umweltzerstörung. An dieser Hoffnung dürfte sich nichts geändert haben. Genauso wenig wie an Maetzigs politischem Credo: „Freiheit ist für mich ein leeres Wort, wenn man nicht sagt, frei wovon und frei wofür.“ Heidi Jäger

Das morgige Gespräch im Filmmuseum mit Kurt Maetzig ist bereits ausverkauft.

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