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Kultur: Tampons starren dich an

Am Samstag eröffnet die Ausstellung XIV. Rohkunstbau „Drei Farben – Weiss“ im Schloss Sacrow

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Auch ein echter Gerhard Richter ist zu sehen. Nicht eines seiner berühmten Foto-Bilder aus der Reihe „in Familie“. Nur ein kleines, graues Rechteck hängt in einem der Zimmer im Schloss Sacrow. Gleich rechts neben der Tür, fast würde man es übersehen. Ein verwirrendes und trotzdem unspektakuläres Labyrinth entstanden durch Fingermalerei. Eine provokante Spielerei mit dem Betrachter, der schnell denkt: Das ist Kunst? Das kann ich doch auch.

Mit „Drei Farben – Weiss“ ist zum ersten Mal eine der seit 14 Jahren jährlich stattfindenden Ausstellungen für zeitgenössische Kunst von Rohkunstbau ab Samstag im Schloss Sacrow zu erleben. Bis zum vergangenen Jahr fanden die Ausstellungen im Schloss Groß Leuthen statt. Nach dem Verkauf des Schlosses sind die Rohkunstbauer um den künstlerischen Leiter Arvid Boellert auf der Suche nach einem neuen, festen Standort. Im Schloss Sacrow hat die Schlösserstiftung erst einmal für dieses Jahr die Räume für die Ausstellung zur Verfügung gestellt.

Zehn internationale Künstler sind mit ihren Arbeiten bis zum 28. August in Sacrow zu sehen. „Drei Farben – Weiss“ ist dabei der zweite Teil einer Triologie, die sich auf die Filmreihe des polnischen Künstlers Krzyzstof Kieslowski „Drei Farben – Blau, Weiss, Rot“ bezieht. Wie Arvid Boellert bei einem Rundgang mit Pressevertretern am Dienstag sagte, gehe es dabei um die „gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit den demokratischen Idealen“. Die drei Farben sollen dabei für die Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stehen. Jeder der Künstler setze sich mit diesen Idealen auf seine Weise auseinander.

So hat die türkischstämmige Ayse Erkmen im Salon des Schlosses einen Vorhang aus Plastikalgen installiert, der die Grenzen zwischen Innen und Außen und gleichzeitig bestehende Vorurteile und veralteter Konventionen überwinden soll. Einem riesigen Spinnennetz gleich hängen diese Algen vor dem Fenster, geben zwar den Blick frei, ein Hindurchtreten scheint einfach und gleichzeitig doch unmöglich. In einem Nebenzimmer hat Thomas Rentmeister an einer Wand zahlreiche Bettlaken aus Baumwolle übereinander gestapelt. Wie ein Querschnitt durch Gesteinsschichten lässt sich dieser Stoffberg lesen, in dessen Ritzen Rentmeister unter anderem Wattestäbchen und Tic-Tacs gesteckt hat. Gelegentlich auch Tampons, die einen wie Stielaugen anzustarren scheinen.

Ruhepol in dieser Ausstellung sind die beiden Fotografien des Finnen Ola Kolehmainen, die die Monotonie der Linien in der Architektur von Zweckbauten zeigen. Ansonsten Verstörendes wie die Bilder des Israelis Gil Marco Shani, die Pornographie und Gewalt thematisieren, Rätselhaftes wie die Videoinstallation des Polen Jaroslaw Flicinski oder die Raumgestaltung der Londoner Künstlerin Maria Chevska, die hier das „zerbrechliche Gleichgewicht des Menschen zwischen öffentlicher und privater Sphäre, zwischen eigener Identität und sozialem Gefüge“ deutlich machen will, wie in der Ausstellung zu lesen ist.

Performances gehören auch zum Konzept von Rohkunstbau. Eine war am Dienstag vor dem Schloss zu erleben. Während eine junge Frau hastig ein Stück Kuchen hin sich hinein schaufelte, badete ein junger Mann ausgelassen in einer großen Schlammpfütze. Die mit Sicherheit gesellschaftskritische Botschaft erschloss sich nicht auf den ersten Blick. Nett anzuschauen war es aber auf jeden Fall.

Die Ausstellung XIV. Rohkunstbau „Drei Farben – Weiss“ ist vom 15. Juli bis 26. August jeweils samstags und sonntags von 10 bis 20 Uhr im Schloss Sacrow, Krampnitzer Straße 33, geöffnet. Der Eintritt kostet 7 Euro, für Kinder unter 14 Jahren ist er frei. Der ausgesprochen gelungene Ausstellungskatalog kostet 20 Euro.

Dirk Becker

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