Kultur: Täter ohne Opfer
HFF-Studenten untersuchten die Geschmacksgrenzen bezüglich des Nationalsozialismus
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HFF-Studenten untersuchten die Geschmacksgrenzen bezüglich des Nationalsozialismus Ein älterer Herr zieht den Vergleich zu Charlie Chaplin. Dieser habe bereits in „Der große Diktator“ von 1940 gezeigt, wie man eine beißende Satire über Hitler machen könne. Die aktuelle Edgar-Wallace-Parodie „Der Wixxer“, in der Hatler schnarrt „Ich könnte mich als Führer anbieten“ vermochte es ebenso wenig wie die familiäre Auseinandersetzung von Hella von Sinnen (Hitler) und Dirk Bach (Eva Braun), ihm auch nur ein Schmunzeln abzuringen. Insgesamt zehn Freiwillige aller Altersgruppen stellten sich am Samstag in der HFF der von einer studentischen Projektgruppe aufgeworfenen Frage, wann Unterhaltung über den Nationalsozialismus die Grenzen des Erträglichen überschreite. „Ich kann darüber nicht lachen“, urteilte eine Frau, sichtlich abgestoßen. Für sie handelt es sich dabei um eine Verharmlosung der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte. Die 30-jährige Nicole hält die Hitler-Blödelei zwar nicht für moralisch verwerflich, sondern für „einfach nicht witzig“. Die zweite Runde des Tests, bestehend aus Bildern des Satiremagazins „Titanic“, darunter Walter Moers'' Hitler-Comics, fand schon etwas mehr Anklang. Qualität scheint für die Bewertung der Rezipienten maßgeblich zu sein. Zugleich jedoch wurde Kritik an der Veranstaltung laut. Ein Herr in mittleren Jahren hatte sich eine Diskussion über den „Untergang“ gewünscht. Ein anderer monierte die definitorische Unschärfe der angesetzten Begrifflichkeiten und regte an, dass erst einmal zwischen Satire, Comedy und Parodie genauer unterschieden werden müsse. Maren Gäbel, Studentin in der Projektgruppe, war dennoch zufrieden. Sie und ihre Kommilitonen werden nun aus dem durch die Diskussion gewonnenen Tonmaterial eine im Internet einsehbare Ton-Bild-Collage fertigen. Als vorläufiges Ergebnis hielten die Studenten die entgegen ihren Erwartungen große Übereinstimmung über die Altersgrenzen hinweg fest. Sie hatten angenommen, dass die Jüngeren „lockerer“ mit den Hitler-Parodien umgehen würden. Allerdings wünschten diese sich Äußerungen zufolge eher Einzelgespräche, da sie sich von den älteren Anwesenden in ihrer Meinungsäußerung eingeschränkt gefühlt hätten. Problematisch bleibt die Ankündigung einer Veranstaltung zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, die beinahe ausschließlich mit Darstellungen der Täter operiert. Spätestens im Zug der hitzigen „Untergang“-Debatte scheint die Fähigkeit abhanden gekommen, diesbezüglich zu differenzieren. Die fahrlässige Darstellung von Protagonisten des „Dritten Reichs“ ohne Bezug auf deren Opfer bliebe, ob satirisch vollzogen oder nicht, zu thematisieren. Genau dieses Missverständnis deutet sich in der Absicht an, die Rezeption von Holocaust-Darstellungen zu untersuchen und sich dieser Aufgabe mit Hitler-Karikaturen entledigen zu wollen. Chaplins Lösung dieses Konflikts überzeugt bis heute: Er verkörperte nicht nur Diktator Hynkel, sondern auch den unter der Verfolgung leidenden jüdischen Barbier. Das „Menschliche im Führer“ - selten wurde es so nachhaltig desavouiert wie hier. Moritz Reininghaus
Moritz Reininghaus
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