zum Hauptinhalt
Mensch gegen Architektur. Anja Kozik von der Oxymoron Dance Company des Waschhauses müht sich am Parkhaus in der Schiffbauergasse ab. Der Fotograf Marek Kucera hat sie in seinem Projekt Cold District für die Temporary Art Zone fotografiert.

©  Marek Kucera

Von Almut Andreae: Temporär ist auch nur ein Wort

Die „Temporary Art Zone“ sucht Wege für eine gemeinsame Reflexion über die Schiffbauergasse

Stand:

Der Untertitel der am Sonntag am Schirrhof eröffneten Ausstellung bringt es ans Tageslicht: Die international besetzte „Temporary Art Zone“ (Temporäre Kunst-Zone) von Erik Bruinenberg als Kurator, präsentiert vom Trollwerk e.V., hat sich viel vorgenommen: „Zwischen Wende und Globalisierung - Zwischen Demokratie und Demokratiebewegungen“, lautet der von den Festrednern mühevoll buchstabierte, da umständliche Subtitel der Veranstaltung. Ein ambitioniertes Projekt, ein in der thematischen Verklammerung gewagter Rundumschlag, ein Mammutprogramm: Nicht nur 20 Jahre Mauerfall, auch die Situation seither in der Schiffbauergasse wird aus der Sicht von neun Künstlerinnen und Künstlern verhandelt.

Dem emotionslastigen Mauerthema begegnet die bei der Vernissage im rosé Wattedress erscheinende Künstlerin Simone Weikelt mit ganz eigenem Flair und Hintersinn. Ihre Antwort auf die bedeutungsschwere Thematik realer und virtueller Mauern setzt konsequent auf Rosa und schiebt sich dergestalt als watteweiche Wandmasse zwischen den Eingang zum Kunstraum und dem sich dahinter darbietenden Ausstellungsszenario. Weikelts Installation „Contemporary Wall“ wird zum wirkungsvollen, da völlig unkonventionellen Entrée, das gleich beim Hereinkommen voyeuristisches Interesse weckt. Dieses wird denn auch, in denkbar scharfem Kontrast, in der dunkel abgehängten Kabine von Jakobine Engel prompt erneut bedient. In ihrem 1983 entstandenen Super 8 Acht-Film „Zone“ hat die Berliner Künstlerin, ausgestattet mit zwei Halogen-Handlampen und der erforderlichen Risikobereitschaft, durch offene U-Bahn-Türen die auf der Trasse zwischen West-Berlin und West-Berlin die sich auf DDR-Gebiet befindlichen und daher unter strengstes Filmverbot fallenden Geisterbahnhöfe einfangen. Untermalt vom Quietschen und Rumpeln der U-Bahn und den verwackelten Bildern im Halbdunkeln glaubt man sich im Laufe des 14-minütgen Doku-Films mitten drin im Geschehen. Das virtuelle Unterqueren der einstigen Mauer gehört zu den stärksten Eindrücken, mit denen man später die Ausstellung wieder verlässt.

Die Aufarbeitung des eigenen deutsch-deutschen Traumas hat sich offenbar Carsten Weitzmann in seiner doppelseitigen Wandmalerei „Real existierende Verheißung“ auferlegt. Sein an Symbolen überbordendes Figurenarsenal erzählt in skurriler Weise von noch nicht verheilten Wunden und traumartigen Gebilden in unerlöster Schwebe zwischen Ort und West. Überhaupt erschließt sich einem in dieser Ausstellung bei so einigen Arbeiten die jeweils intendierte Aussage nur in Verbindung mit dem beigefügten Kommentar. Erst durch die Lektüre der im Schriftbild etwas sehr klein geratenen Begleittexte wird man wirklich nachvollziehen, was genau es mit der doppelten Videopräsentation und den sich an der Projektionswand wirr kreuzenden neongelben Klebebandstreifen auf sich hat. Im Rahmen der Vernissage griff Birgit Ramsauer in einer Performance ihre 2004 am Potsdamer Platz realisierte Performance „Walk the wall“ zur Mauer wieder auf und erweiterte sie per Klebebandzeichnung um eine weitere Dimension zu einem Remake für Potsdam mit „Walk the wall again“.

Noch am konkretesten auf die Situation der Schiffbauergasse nimmt der slowakische Künstler Marek Kucera Bezug. Im Dialog mit zwei TänzerInnen und einer Schauspielerin hält er deren Haltung zum „tot“-sanierten Standort fotografisch in drei Posen fest. Das Gitternetz am Rand der Parkfläche des umstrittenen Parkhauses, vor dem er die Darsteller jeweils fotografierte, wird hier zur Barriere, zum letztlich unüberwindbaren Hindernis. Die in dieser Arbeit mit dem Titel „Cold District“ anhaftende Kritik an dem im Zuge der Sanierung gleichsam in Erstarrung gefallenen Kunstort Schiffbauergasse zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung, die sich draußen auf dem Schirrhof fortsetzt.

Hier nimmt ein Überseecontainer den Platz der ehemaligen „Russentankstelle“ ein und in seiner Funktion als Denkraum die Ambivalenz zwischen Erfolgsgeschichte und Ratlosigkeit wörtlich. In sechs Interviews kommen die Gründer des Waschhaus e.V. und andere Personen aus der Kunst- und Kulturszene zu Wort. Was sie bei aller Unterschiedlichkeit verbindet, sind das Engagement und die Aufbruchstimmung, mit der sie bald nach der Wende die sozialistische Industriebrache am Tiefen See mit neuem Leben erfüllten. Dass dieser Prozess auf Dauer nicht ohne Querelen abging, auch darüber nehmen die damaligen Macher, nunmehr als Zeitzeugen, kein Blatt vor den Mund. Es lohnt sich, sich für diese Interviews Zeit zu nehmen. Hier schlägt das Herz der Ausstellung. Und hier – und das könnte für Potsdam bleibende Botschaft und Gewinn dieser Ausstellung sein – konzentriert sich auch der eigentliche Appell: Über den Weg der gemeinsamen Reflexion und Standortbestimmung diesem Ort neues Leben einzuhauchen. Auf dass er für die Künste nicht nur eine temporäre, sondern eine permanente Spielstätte sei, um sich mitten im Wandel neu zu erfinden.

Die Temporary Art Zone ist ab morgen bis 4. Oktober, mittwochs bis freitags, 14 bis 20 Uhr und samstags und sonntags, 12 bis 20 Uhr, in der Schiffbauergasse geöffnet

Almut Andreae

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })