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Kultur: Terror und Lächerlichkeit

Unidram: Sechs Stücke in einer sechsstündigen „Langen Nacht der Experimente“

Stand:

Die „Lange Nacht“ ist als Prinzip, durch Reizüberflutung mit einhergehender physischer Erschöpfung der Teilnehmer eine Art von Ekstase herzustellen, bereits von Museen, der Wissenschaft und selbstredend fürs Shoppen strapaziert worden. Nun also pendelten am Montag die Freunde des Jungen Theaters sechs Stunden lang über den sandigen Schirrhof in der Schiffbauergasse, denn Unidram lud zur Langen Nacht der Experimente ein. Vom Kunstraum ins T-Werk und hinüber in die Schinkelhalle. Zeit, im kleinen Festivalzelt zu verschnaufen, blieb zwischen den Stücken nicht. Off-Theater wird eben sehr ernst genommen und hat, der Abend zeigte das, nicht immer nur mit Unterhaltung zu tun.

Schon das Berliner Papiertheater Invisius, das den Auftakt übernahm, zeigte die allseits bekannte Geschichte von Bram Stokers Grafen Dracula in einer strengen Steifheit. Die Puppenbühne hat die Größe eines Fernsehers, Hintergrundtafeln und Figuren, sind in puritanischem Schwarzweiß gehalten. Dazu spielt ein Pianist, dass es klingt wie bei einem Stummfilm. Die technische Umsetzung mit zum Teil eigenwilligen Perspektiven mag beeindruckend sein. In keinem Moment jedoch kann sich der Zuschauer im kleinen Guckkasten verlieren. Dazu wechseln die Bilder zu hastig, dazu wird zuviel mit geisterhafter Stimme von außen vorgelesen. Wenig gruselige, aber sehr kunstvolle Standbilder.

Eine ganze Weile glaubt man auch während des Auftritts von Krepsko aus Tschechien, im Spiel der einsamen Frau mit ihren Glasfiguren, die an die Wand hinter ihr bizarre Projektionen werfen, würde es sich um jenes Bildertheater handeln, das die Statik zur Kunst erklärt. Bis von den Rängen ein ziemliches Trampel herunterstolpert und das in sich gekehrte Leben der Glasliebhaberin durch sein derbes Verhalten durcheinander bringt. Dem Stück nach einem Motiv aus Tennesee Williams „Glasmenagerie“ kippt genau an der richtigen Stelle die Betulichkeit weg, um dann mit Humor zu überraschen. Ein gelungenes Experiment, eine Metapher für Einsamkeit zu entwerfen und sie mit Ironie sofort in Frage zu stellen.

Diese selbstkritische Meta-Ebene fehlte dem Höhepunkt der Nacht, der niemanden unbewegt ließ. Djalma Primordial Science aus Berlin polarisierten und provozierten in der einstündigen Performance „(Myopia)2“ über die Pubertät von Mädchen. Zunächst erwartete die bis dahin auf über einhundert angewachsene Zuschauermenge lustige Papierflugzeuge auf den sich in zwei Blöcken gegenüber stehenden Bänken. Der Spaß, diese durch die Luft zu werfen, verflog bald. Zwei sehr ins Hässliche verunzierte Mädchen mit dicker Brille und sehr kurzem Faltenrock wrangen hauptsächlich lange, sehr lange Minuten unter konvulsische Zuckungen Putzlappen in Blecheimern aus. Immer wieder. An einem Pult saß dabei ein selbstverliebter Klangtüftler und malträtierte das Publikum mit den Geräuschen, die allerlei Gerätschaften auf seiner vor ihm liegenden E-Gitarre hergaben. Die Schmerzgrenze war überschritten, eine Kontroverse entbrannte. Fantastische Körperbeherrschung der wie spastisch agierenden Performerinnen, also Faszination des Hässlichen, oder sinnleere Verhöhnung von Behinderten (Myopia ist Kurzsichtigkeit) mit latenter pädophiler Note? Theater kann Terror sein. Die aufgestauten Spannungen wurden im Applaus für das dynamische Feuerspiel im Innnehof der Tschechen von Kivadlo Kvelb entladen. Deren Zwischenspiel „aBlaze“ mit lodernden, überlebensgroßen Figuren, die von bis zu vier Akteuren in den Nachthimmel gereckt wurden, zeigte die Nähe von Theater zum kultischen Ritual.

Das Experiment von Fabian und Antje von Babelfish ZOON aus Berlin ging weitestgehend daneben und war deshalb besonders sympathisch. In ihren hautfarbenen Latexüberzügen, die mit Staubsauermotoren zu Kugeln aufgeblasen und mit Wasser gefüllt wurden, gaben sie sich der Lächerlichkeit preis. Nichts klappte, man verstand selten ein Wort, doch die Idee mit einer zweiten, unförmigen Hülle zu spielen, war sehr komisch.

Die absurde Welt des genialen russischen Autors Daniil Charms bildete den Abschluss der Langen Nacht. Im deutsch-ungarischen Projekt bearbeiten zwei Pantomimen eine waagerecht und eine senkrecht aufgespannte rote Schnur mit allerlei unsinnigen Mitteln. Dazu rattert es ohne Unterlass wie eine Nähmaschine. Licht flackert. Schräge Akkorde. Eine irre, rastlose Welt, in der sogar Clowns den Spaß verloren haben und Styropor essen. Ein Bild, das den Charakter der ersten Langen Nacht des Experiments eigentlich ganz gut beschreibt.

Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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