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Kultur: Tochter unter Druck

Das Hans Otto Jugend-Theater zeigt mit „Hotel Sibirien“ eine Komödie mit Tiefe

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Das Hans Otto Jugend-Theater zeigt mit „Hotel Sibirien“ eine Komödie mit Tiefe Von Marion Hartig Er hat mehr als nur eine Vorahnung. Heinz Sibirien sitzt auf dem roten Sofa im Hotelfoyer. Seine Beine wippen auf und ab, die Hände zittern aufgeregt um den schlotternden Körper. Er weiß, dass es ihm heute an den Kragen geht. Von den ersten Sätzen an zieht „Hotel Sibirien“ die jugendlichen und erwachsenen Zuschauer am Donnerstagabend in der Reithalle A in den Bann, fast ausverkauft ist die erste Premiere des Hans Otto Kinder- und Jugendtheaters in der neuen Saison. Spannend, mit viel Witz und Leichtigkeit erzählt das Ensemble um Regisseur Philippe Besson die Komödie von Roel Adam, dem niederländischen Autor, der schon im letzten Jahr mit dem Stück „Über Morgen“ auf dem Programm des HOT stand. Trotzdem fehlt es der Geschichte nicht an Tiefe. Eigentlich ist es sogar eine ziemlich ernste Geschichte, die sich da auf Bühne abspielt. Es geht um die sechzehnjährige Katja (Marie-Luise Lukas), die sich in ihrem langen weiten Pulli und dem Schlabberrock versteckt und am liebsten gar nicht sichtbar wäre. Denn kommt sie erst einmal ihrer „Kommandantenmutter“ (Katja Amberger) unter die Augen, ist es vorbei mit jeglicher Freiheit oder Hausaufgaben. Dann sind Putzen, Küche, Betten machen und Einkaufen angesagt. Der trinkende Vater (Matthias Hörnke) hält sich aus allem raus. Katja steht allein da. „Ich bin kein Mensch. Ich bin ein Aufziehspielzeugtier für große Leute“, wird es an diesem Tag aus ihr herausbrechen. Auf das Wesentliche ist das Bühnenbild (Anja Laterne) reduziert. Im rötlichgelb gestrichenen Foyer in der ersten Ebene steht das Sofa, ein Tisch mit Stühlen, eine halbvertrocknete Palme, der Kühlschrank, aus dem Katja von Michael, dem hungrigen Dieb, gerettet wird. Eine metallene Treppe führt nach oben, vom Flur auf der zweiten Ebene gehen die Zimmer ab. Man sieht dem Hotel nicht an, dass es ein Ort der grausamen Kälte ist, wie es schon der Name suggeriert. Das Leben im „Sibirien“ ist eintönig. Bis die neuen Gäste auf der Bildfläche erscheinen und den Alltag aufmischen. Der reiche Stefan Stielmus (Holger Kunkel) und Maria, seine Sekretärin (Cornelia Schindler). Er in hellem unscheinbaren Anzug mit Hut und Koffer. Sie im kurzen Kostümchen, die Lippen knallrot geschminkt. „Klebrige Zuckerstange“, wird sie von Carola beschimpft, „Schnauze“ bringt Stielmus die Geliebte zum Schweigen. Es herrscht ein harter Umgangston im Haus. Und doch bleibt dem Publikum bei derart rauer Kommunikation das Lachen nicht im Halse stecken. Die überspitzte Wortwahl macht die Grausamkeit auf der Bühne erst erträglich. Die gefühlskalte Mutter, die ihr Kind an den alten, dickbäuchigen Gläubiger verkaufen will, den Vater, der sich mit der Schnapsflasche aus der Verantwortung stiehlt, den Geschäftsmann, der allein von Geldgier getrieben wird. Das komödiantisch, fast slapstickhafte Lächerliche gibt der Geschichte die notwendige Leichtigkeit. Hoch zu loben ist dabei die Leistung des Ensembles. An keiner Stelle gleitet das Stück ins Alberne über. Die Schauspieler fangen das Lachhafte, den bissigen Spott auf die Erwachsenenwelt geschickt auf, indem sie in ihrem übertriebenen Gestus die Grenze zum Geschmacklosen nie überschreiten. Und indem sie den Figuren trotz ihrer Boshaftigkeit ein menschliches Gesicht geben. Die eisenharte Mutter hat auch ihre sensiblen Seiten, der feige Vater weiß um seine Schwächen, Stielmus bekommt das große Schwitzen, wenn er mit einer Frau zusammen ist. Die Erwachsenen sind nicht ausschließlich böse, eher unfähig, „richtig“ zu leben und sich zu verändern. Stringent laufen die Fäden der Geschichte zusammen auf ein unerwartetes, besonders gelungenes und einfühlsam erzähltes Ende zu. Der bösen Ironie folgt abfedernde Situationskomik. Um aus ihrer prekären Lage herauszukommen, müssen Katja und Michael ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Und das ist die eigentliche Aussage des Stückes. Wehr dich, nimm dein Leben selbst in die Hand. Ein Stück weit gelingt es den beiden. Michael kommt seiner verlorenen Vergangenheit ein Stück näher, Katja schaufelt sich Schritt für Schritt aus ihrem gehorsamen Loyalitätsempfinden gegenüber der Mutter frei. Nur ist es dann vielleicht schon zu spät... Bei den Abendvorstellungen heute und am 7. Oktober bezahlen Erwachsene in Begleitung eines Jugendlichen, ebenfalls nur 5 €.

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