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Kultur: Todessehnsucht

Unidram mit Chang Nai Wens „Psychose 4.48“

Stand:

Wie ein warmer weicher Torso steht die weiße Figur im Raum. Zart wölben sich die Brüste hervor. Die Atmung geht flach, ist eingeengt von den Bandagen. Unsicher gruppieren sich die Zuschauer um dieses gestutzte menschliche Wund- und MahnMal. Es gibt keine festen Plätze, jeder sucht sich mit transportablen Hockern die von ihm gewünschte Perspektive. Und die ändert sich immer wieder, wie auch die Figuren im Raum immer andere Positionen einnehmen. Es ist eine zweigeteilte Gestalt, die mit sich ringt, auseinanderfällt und versucht, wieder zusammenzufinden.

Die beim Theaterfestival Unidram vorgestellte Produktion „4.48 Psychose“ von der in Hamburg lebenden taiwanesischen Regisseurin Chang Nai Wen greift ein Stück von Sarah Kane auf, das sie kurz vor ihrem Selbstmord schrieb. Es ist wie ein Aufschrei der Seele, der sich in dieser Inszenierung bildkräftig, aber eher gedämpft, Gehör verschaffen will. Die Satzfragmente hängen bleiern in dem Raum: „Ich bin traurig. Hoffnungslos. Unzufrieden ... Ich möchte mich umbringen.“ Die Düsternis der Gedanken, die sich immer wieder im Kreise drehen, doch dem unausweichlichen Ende zutreiben, ergreifen auch den Zuschauer. Und er fühlt sich ertappt, wenn die wie in einem Kokon eingesponnene Frau konstatiert: Ein Raum voller ausdrucksloser Gesichter. Sie begaffen meinen Schmerz. Man beobachtet mich. Beurteilt mich. Scham.“

Immer wieder wechseln die Perspektiven. Die Schauspielerin Iris Faber und die Regisseurin selbst verkörpern die Bewusstseinsspaltung als Gefangene in ihren Hautschläuchen. Sie liefern sich Zwiegespräche um das Nicht-Leben- und Nicht-Lieben-Können. „Ich sterbe für einen, der nichts davon weiß“. Ein Satz, der sich eingräbt. „Sie sind krank“, sagt die Stimme aus dem Off. Und das andere Ich erwidert: „Ich bin depressiv. Das ist Zorn.“ Und es überlegt, wie es diesem Tanz des höllischen Belagerungszustandes entrinnen kann: „Mit einer Überdosis, Pulsadern durchschneiden, erhängen?“

Trotz der Dramatik dieser mit Verzweiflung getränkten Gedankensplitter entrückt das Geschehen auf der Bühne immer mehr. Die Regisseurin findet zwar für die Worte eindrucksvolle, sinnliche Bilder. Aber es gibt zu wenige schauspielerische Facetten und Zäsuren. Nur die tänzerisch zugespitzte Konfrontation von Weiß und Schwarz lässt auch am Ende das eigene Herz wieder lauter pochen. Schließlich windet sich der weiße Körper wie eine Schlange durch den Raum, stößt an, sucht weiter. „Jeder Schritt ein Stolpern“. Dann ist aus dem Off ein Kind zu hören: Es rattert gebetsmühlenartig runter, was von ihm im Leben erwartet wird: Kontrolle ausüben, sich selbst behaupten, Schwäche überwinden, das Ego verteidigen, keine Schande machen...“ Ist dieser Körper zerbrochen an den zu großen Erwartungen? Er will nicht leben müssen in so einer Welt. Wir ahnen nur den inneren Schmerz, den wir nicht mildern können und vor dem wir kapitulieren. Als die Stimme am Ende sagt: „Bitte öffnet den Vorhang“, fühlt sich auch der Zuschauer befreit, von dieser langen Stunde der Düsternis – mitten im trüben November.

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