Kultur: Trauer muss Ceres tragen
Bravoumjubelte Premiere des Einakters „Proserpin“ von Joseph Martin Kraus im Schlosstheater
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Wie sich die Bilder doch gleichen. In Potsdam regiert mit Friedrich II. ein musenliebender Monarch, der Libretti für Opern liefert, die Kapellmeister Carl Heinrich Graun vertont. In Stockholm ist mit Gustav III. sein Neffe, Sohn von Friedrichs Schwester Luise Ulrike, an der Macht. Theaterbegeistert wie sein Onkel kümmert er sich um den Opernspielplan, hält Ausschau nach jungen Talenten. Zu denen gehört der Komponist Joseph Martin Kraus, ein Zeitgenosse Mozarts mit dessen fast identischen Lebensdaten. Nach einer Ideenskizze von Gustav III. über den altrömischen Mythos vom Raub der Proserpina durch Höllengott Pluto verfertigt Johan Henrik Kellgren das Libretto, welches Kraus auf höchst eigenständige Art, mit viel Sinn für musikdramatische Aktionen als Einakter vertont. Reichlich despektierlich und mit Gespür für barockpersiflierende Elemente ist „Proserpin“ (so die schwedische Bezeichnung für Proserpina, Tochter von Göttervater Jupiter und Fruchtbarkeitsgöttin Ceres) von Elisabeth Linton in Szene gesetzt. Am Mittwoch erlebte die schwedisch gesungene und übertitelte Produktion im passenden Ambiente des Schlosstheaters im Neuen Palais ihre bravobejubelte Musikfestspiele-Premiere. Das vorerst letzte Musikspektakel in dem historischen Theater, das wegen Sanierungsarbeiten für mehrere Jahre geschlossen wird.
So spartanisch sich die stilisierte Szene mit Tüllhängern und Kostümen ganz in Schwarz-Weiß auch vorzeigt (Ausstattung: Herbert Muraurer), so prall und prägnant spult sich die Geschichte fern mythologisch-optischer Überfrachtung ab. An ovaler Festtafel feiert eine modern kostümierte Göttersippe eine hippe Party. Dass es dabei sehr menschlich zugeht, versteht sich. Eine Überfülle an fantasievollen Regieeinfällen bürgt dafür aufs Vorzüglichste. Da werden pathetische Tischreden gehalten, ist Komasaufen angesagt, geht man einander wenig prüde an die Wäsche. Für weitere Sinnesverwirrungen sorgt Teenager Proserpina: von allen bewundert, besonders von Atis, der allerdings mit Cyane, einer Kammerfrau von Proserpina, verlobt ist, flirtet sie unterdessen mit Pluto, Papas bestem Freund. Das macht Atis rasend vor Eifersucht, was letztendlich dazu führt, dass er sich das Leben nimmt und beim Höllenfürsten Unterschlupf findet. Da die Liebe stärker ist, wird Atis von Cyane aus dem Hades wieder in die Oberwelt geholt.
Unterdessen ist Proserpina von Pluto in sein Reich entführt worden, hat ihn aus Liebe geheiratet. Mutter Ceres ist, als sie von einer frühlingsverbreitenden Reise gen Norden wieder zurückkehrt, ob des spurlosen Verschwindens ihrer Tochter außer sich. Racherasend und wutbebend fordert sie ihren Göttergatten auf, etwas zu unternehmen. Er entscheidet, dass die Tochter die Hälfte eines Jahres unterirdisch herrschen, die andere Zeit auf der Erde leben darf. Allgemeine Versöhnung. Auch von Ceres mit Pluto.
Die Darsteller beider Figuren werden ob ihrer gestalterischen und sängerischen Leistungen besonders gefeiert. Vor allem Erika Roos als bühnenbeherrschende, matronenhafte Ceres, die penibel die eingedeckte Tafel prüft und den Götterladen zusammenhält. Kraftvoll weiß sie ihren strahlenden Mezzosopran zu führen, steinerweichend um das Wohl ihrer Tochter zu flehen und eindrucksvoll zu klagen. Auch die anderen Rolleninhaber wissen mit stimmstrotzender Direktheit und Leidenschaft zu begeistern. Wie Bassbariton Lars Arvidson als geschickt seine Ziele verfolgender Pluto oder Elisabeth Meyer als Titelheldin, die ihren kristallklaren Sopran leuchten und höhensicher strahlen lässt. Bariton Ludvig Lindström ist für einen schillernden und zwielichtigen Jupiter zuständig. Unentwegt hält Joachim Bäckström jungheldische Strahlkraft und sichere Spitzentöne für seinen Atis parat, während Isa Katharina Gericke als kesse, kapriziöse und liebesfähige Cyane ihrem hellen Sopran alle Leicht- und Lieblichkeit entlockt. Das Gesangsensemble Syd ist den frivolen Partygästen wie den nach Proserpina suchenden Trauernden ein gleichermaßen überzeugender Sachwalter. Die Krone jedoch gebührt den Barokksolistene unter Leitung von Olof Boman, die mit ungestümer Spielhingabe, intonatorischer Akkuratesse und schier berstender Gestaltungsintensität für das Erlebnis dieses überaus spannenden Musikabenteuers sorgen. Peter Buske
Wieder an diesem Samstag, 19.30 Uhr, und Sonntag, 16 Uhr, im Schlosstheater im Neuen Palais
Peter Buske
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