Kultur: Träume
HOT-Premiere „Werkstatt der Schmetterlinge“
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Die Regeln sind vorgegeben: Oben die Werkstätten, unten die Welt, wie sie ist. Eine andere Regel besagt, dass selbst die schöpferischsten Geister die Ordnung nicht durcheinanderbringen dürfen, beispielsweise Tierisches und Pflanzliches zu mischen, und dass man seinen Chefs gehorchen muss, sonst wird man versetzt. Genau das aber ist ein Riesenproblem für den subordinierten Erfinder Rodolfo im sorgsam geregelten Himmel der Schöpfungen: Er möchte Vögel schaffen, „die Erdbeeren kacken“, Kakteen mit acht Beinen und mancherlei ähnliches Zeug, etwas jedenfalls, „was alle glücklich macht“. Aber die „Weise Alte“ führt genau Buch, sie wacht über die Gesetze.
Gäbe es die nicaraguanische Autorin Gioconda Belli nicht, so hätte niemand von Rodolfo erfahren, gäbe es Cornelia Rosenkranz und Nico Dietrich nicht, so hätte es auch keine Bühnenfassung des Buches zum Thema Phantasie und Ordnung gegeben. Gestern hatte das Stück „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ im Hans Otto Theater (Reithalle A) vor einem fachkundigen Publikum ab sechs Jahren Premiere. Oben die Werkstatt mit Reißbrett, Tisch und einer gewaltigen Klebstoff-Tube, unten jene Wiese mit Steg, wo Rodolfo (Peter Wagner) von Glück und Schönheit für jedermann träumt. Hinter dem Fenster dreht sich die Welt – Susanne Füller hat Bühne und Kostüme gestaltet. Unter der sphärischen Musik von Denis Aebli erebte man die Verbannung auch seiner farblosen Funktionskumpel Fedora (Jenny Weichert) und Kalle (Alexander Weichbrodt) in die Werkstatt der Insekten. Die Weise Alte (Sabine Scholze) hat Regisseur Nico Dietrich als Wandelfigur mit einiger Befehlsgewalt und Lakonik angelegt. Für die Kinder funktionierte die phantasievolle Inszenierung, auch wenn einige vor Donner, Blitz und und Bühnendampf erschraken. Es war wohl die unverständliche Schlüsselszene in einer einstündigen Inszenierung, die episch begann und, weil unvollendet bedacht, ohne einen Rest ausklang. Was war denn nun mit dem Proporz zwischen Ordnung und Phantasie? So viel wurde klar: Rodolfo gibt (auch schauspielerisch) nicht auf, ein vollkommenes Wesen zu erdenken, das fliegt wie ein Vogel und schön wie eine Blume ist. Durch einen „Fehltritt“ wider die Ordnung also kamen die Lepidopteren in die Welt, Mischlinge aus Pflanze und Tier. Schuppenflüglers Gaukelglanz zauberte der wandelnden Alten gar ihren theatralischen Antagonismus weg.
Zuletzt wurde das Publikum auf die Off-Bühne geholt, ein gehöriger Unruhefaktor. Dank einer Windmaschne regnete es Schmetterlinge. Seligkeit für alle, ein Lob der Ausdauer, Beifall. Zum Glück aber kann man anhand des erarbeiteten Begleitmaterials daheim das Fehlende ergänzen, denn Ordnung muss ja wohl sein! Gerold Paul
Gerold PaulD
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