
© Sören Marotz
Kultur: Treffen verbrecherischer Bürokraten
Die Wannsee-Konferenz als Dokumentar-Theater-Projekt in der Gedenkstätte Lindenstraße
Stand:
Einen „Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage“ hatte Hermann Göring von Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes war, gefordert. Damit war die „Endlösung“ gemeint. Ihre Koordination und Durchführung sollten zum Abschluss gebracht werden. Heydrich lud für den 20. Januar 1942 zu einem geheimen Treffen in einer Villa am Großen Wannsee ein, die als „Wannsee-Konferenz“ in die Geschichte eingegangen ist. Neben Heydrich waren 14 NS-Funktionäre anwesend, auch Adolf Eichmann, der für das Protokoll verantwortlich zeichnete.
Die Wannsee-Konferenz ist auch das Thema für den Kinofilm, das Fernsehen und für das Theater. Dabei war man um eine Rekonstruktion und Authentizität des Treffens bemüht. In der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße für die Opfer politischer Gewalt wurde die Konferenz jedoch nicht nachgespielt. Es gab keine Figur, die individualisiert wurde. Man strebte eine „nüchterne“ Montage an. Der Verein Historiker-Labor hat bereits vor fünf Jahren 15 Historiker aus ganz Deutschland eingeladen, in dem Dokumentar-Theater-Projekt „Die Wannsee-Konferenz“, das von Christian Tietz konzipiert und inszeniert wurde, mitzuwirken. Anhand von Fakten und Dokumenten entstand der Text, der von den Wissenschaftlern kommentiert, mit korrespondierenden Zitaten versehen und von ihnen selbst gesprochen wurde. Sie setzten sich mit der „Haltung und Position des jeweiligen Teilnehmers in der ,Judenfrage’“ wissenschaftlich auseinander. Während eines gemeinsamen Arbeitsprozesses entstand das Dokumentar-Theater-Stück, in dem nicht nur das Konferenz-Protokoll zur Sprache kam, sondern auch „der bisher geführte Kampf gegen diesen Gegner“, die vorgesehene „Evakuierung nach dem Osten“, der „Arbeitseinsatz im Osten“ oder die zu erwartende „natürliche Verminderung“. Die entsprechende „Behandlung des Restbestandes“ war ebenfalls Thema der nationalsozialistischen Funktionäre.
Nur 15 Stühle und 15 Aktenordner, mit dem Foto der jeweiligen Holocaust-Organisatoren versehen, benötigte man als Requisiten, jedoch keinen Scheinwerfer, um die Konferenz und ihre Teilnehmer ins Theater-Licht zu setzen. Es galt das Wort, das schreckliche, abstoßende, mörderische Wort. Es war gut, dass die Sprecher nicht versuchten, durch eventuelle darstellerische Ambitionen das Stück zu beleben. Laienspielhaftes Agieren hätte dem Ganzen die Brutalität und Biederkeit der Massenmörder nehmen können. Doch ein Darsteller soll genannt werden: Felix Jentsch, der den Sicherheitschef Heydrich sprach. Er gibt ihn als kalt-glatten und arroganten Chef-Drahtzieher. Beachtlich war die enorme Text-Sicherheit. Beim Nachlesen autobiografischer Hinweise im Programmheft wird man aufgeklärt: Felix Jentsch ist Historiker, Schauspieler und Lesebühnenautor.
Dieses aufklärerische Dokumentar-Theater-Projekt über eine der berüchtigsten Konferenzen der Weltgeschichte sollte möglichst noch oft vor vielen Zuschauern gezeigt werden. Aber erreicht es diejenigen, die heute fremdenfeindliche und rassistische Parolen in die Welt posaunen? In einer Recherche zu Heydrich entdeckt man bei YouTube erschreckende Kommentare von 2016, die den Massenmörder als Vorbild bezeichnen. Klaus Büstrin
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: