
© Constanze Henning
Kultur: Triumph der Scheinheiligen
Das Theater Poetenpack bringt Molières Komödie „Der Menschenfeind“ ins Hier und Jetzt
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Er schmollt und bleckt die Zähne, beißt angewidert um sich. Mit diesem verbitterten Poeten ist wahrlich nicht zu spaßen. Nein: Wahrheitsfanatiker Alceste hat dieser Spaßgesellschaft den Kampf angesagt. Wer von ihm die Meinung hören will, dem wirft er sie ungeschminkt ins Gesicht. Schon äußerlich unterscheidet er sich von den sich anbiedernden vermeintlichen Freunden, die noch hinter jedem Rücken etwas zu tuscheln haben. Regisseurin Anke Rauthmann lässt ihren Alceste einen blassgrauen langweiligen Schal um den Hals baumeln, während alle anderen in dieser sommerlaunigen Inszenierung von Molières Komödie „Der Menschenfeind“ bunte Blumengirlanden auf der offenherzigen Brust zeigen. Dazu tragen sie Sonnenbrillen im gegelten Haar, stecken in geckenhaft roten Schuhen oder im wehenden Pelz. Sehen und gesehen werden.
Dieser Molière-Abkömmling, der am Donnerstagabend im lauschigen backsteinschönen Vierseiten-Q-Hof des Poetenpacks eine vielbeklatschte Premiere hatte, agiert im Hier und Heute. Nicht nur äußerlich findet man sie wieder: die Schickimicki-Gesellschaft mit Bussi hier und Bussi dort, mit Handy im Daueranschlag oder kokett an den Damenschenkel geheftet, dass es selbst beim Liebesspiel in greifbarer Nähe ist. Diese charmant-frivole, mit Livegesang angereicherte Inszenierung verteilt Seitenhiebe in alle möglichen Richtungen: Da gibt es Fußtritte gegen die Politik des auf Menschen pfeifenden Kapitals, Rüffel gegen die Journaille, die noch jeden totzuschreiben vermag, und verzweifelte Rempler gegen die Justiz, die nach einer Denunziation aus einem harmlosen Dichter einen Terroristen macht – wie es Alceste selbst erlebt.
Reimeslustig fischt diese Einstudierung nach einer Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger zumeist im flachen Wasser, spritzt dabei aber munter um sich. Mancher Reim und mancher Gag wirken banal, und dem zweiten Teil geht streckenweise auch der Atem aus. Dennoch ist dies ein unterhaltsamer Premierenabend. So wie in dem von Molière 1666 geschriebenen Stück geht es zuvorderst um die chrakterliche Spaltung des Protagonisten, der viel über Molière selbst erzählt, über dessen Unlust am allzu Glatten in den adeligen Reden und Verhalten. Lars Wild in der Titelrolle beherrscht meisterlich die Molièrschen Sprachgirlanden und weiß auch ohne Adelsstand mit jeder Faser seines schlanken Körpers das Leid nach außen zu tragen. Er krümmt und biegt sich, balanciert vorsichtig am Abgrund der mit rotem Teppich belegten Bühnenstege, die sich über dem Kopfsteinpflaster unter der Platane erheben.
Ja, er hat es wahrlich schwer, seiner Moral die Treue zu halten angesichts des flatterhaften Wesens von Célimène, die es so gar nicht ernst nimmt mit der Treue. Alceste zittert geradezu vor Eifersucht, barmt und zetert gegen das geliebte Frauenzimmer, das sich nicht von ihm zügeln lässt. Mit Jessica Tietsche steht Lars Wild eine temperamentvolle Herausforderin zur Seite. Beide schenken sich nichts. Auch Célimène liebt diesen Eigenbrötler und Tugendhüter. Aber sie möchte trotzdem die Glimmerwelt nicht missen. Und so wandelt sie aufreizend zwischen der gläsernen Fassade mit coolen Drinks, Facebook und koksenden Managern – und dem zermürbt im Liegestuhl brabbelnden Geliebten. Doch auch dessen Liegestuhl ist nicht mehr aus altem soliden Holz, sondern glänzt im modischen Silber. Ausstatterin Janet Kirsten nahm es genau und spiegelt auch im kleinen Detail die innere Zerrissenheit des Helden. Denn so ganz hält sich dieser Idealist eben doch nicht die Treue. Sein Fleisch ist schwach. Seinem Anspruch auf eine bedingungslos ehrliche Welt kann er nicht erfüllen, wenn er seine Begierde zu der aufreizenden, unsteten Célimène nicht aufgeben will. Und Célimène ist wahrlich ein Ausbund an heuchlerischer Hintertriebenheit. Sie schreibt Briefe an ihre Verehrer, auch an Alceste, in denen sie den einen gegen den anderen ausspielt – und alle bei Laune halten will. Das allerdings will in dieser Einstudierung nicht ganz überzeugen. Denn man nimmt Célimène durchaus ihre wahren Gefühle zu Alceste ab. Schreibt man dann aber solche Briefe? Es gibt in dieser mitunter klamaukigen, von Publikum immer wieder herzlich belachten Show auch leise berührende Töne, und dazu gehört eben, wenn Célimène dem groben Klotz Alceste ihre Liebe gesteht. Doch dieser Poltergeist hat kein Gespür für weiblichen Feinsinn. So tiefschürfend dieser Poet in seiner Kunst auch ist, so unsensibel ist er gegenüber Célimène. Und auch gegenüber der aufrichtigen Éliante, die ebenfalls Alceste liebt, sich aber dann doch mit dessen Freund Philinte begnügt. Dieses Paar, überzeugend von Stefanie Lanius und Peer Göring auf die Open-Air-Bühne gebracht, bringt eine weitere Facette in das Gesellschaftsspiel. Die beiden schaffen die Balance zwischen Angepasstheit und eigenem Anspruch – ohne sich ganz aufzugeben.
Am Ende trägt Alceste seinen grauen Schal wie ein Palästinensertuch um den Kopf gewickelt. Ausgebrannt, verraten und verkauft. Man hat ihn denunziert. Der Möchtegerndichter Oronte, der auf Twitter seine schweinische Lyrik verfasste, konnte die scharfe Kritik Alcestes nicht ertragen und schlug rachelüsternd zurück. „Ihr hetzt mich wie auf einer Hasenjagd“, sagt Alceste. Doch was tun? Flüchten und in Island Schafe züchten? „Lieber emigrieren in die menschenleere Zone, als in der Schickeria Potsdams zu ersticken?“ Oder endet dieser an der Welt gescheiterte Idealist aufgehängt an der Platane? Alceste löst seinen Gürtel. Doch dann trifft sein Blick erneut auf den von Célimène. Beginnt alles wieder von vorn?
Am heutigen Samstag, 20 Uhr, Q-Hof. Lennéstraße 37, Karten unter Tel.: (0331) 97 912 91
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