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James Joyce lässt grüßen. Der Schriftsteller Heinz Rudolf Kunze.

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Kultur: Trubschacher im Geräuschprekariat Der Musiker und Schriftsteller Heinz Rudolf Kunze stellte sein neues Buch im Waschhaus vor

Er liest neunzig Minuten, faltet seine Blätter zusammen, sagt „und fertig“ und geht von der Bühne, nachdem er die Lesebrille wieder gegen seine Schwarze eingetauscht hat. Die trägt heute jeder, der mit der Zeit gehen will, zu „HRK“ gehört sie seit Jahren.

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Er liest neunzig Minuten, faltet seine Blätter zusammen, sagt „und fertig“ und geht von der Bühne, nachdem er die Lesebrille wieder gegen seine Schwarze eingetauscht hat. Die trägt heute jeder, der mit der Zeit gehen will, zu „HRK“ gehört sie seit Jahren. Applaus, keine Zugabe. Irgendwie ist es dann doch genug an Trubschachers wildem Gedankengut und allem Weiteren, das da, gerührt oder geschüttelt, auf das Publikum eingeströmt ist. Und manch einer sich fragt: Warum war das alles jetzt so lustig – falls es das überhaupt war - und was war das eigentlich, was da vorgelesen wurde?

„Kein Roman“, hat Heinz Rudolf Kunze selbst auf sein neues Buch geschrieben. „Vor Gebrauch schütteln“, so Titel und Regieanweisung des „Kein Roman“, mit dem der Musiker, Sänger und Liedermacher derzeit auf Lesereise ist. Sein 11. Buch, sagt er selbst, Wikipedia listet 14 und nennt Kunze an erster Stelle auch einen Schriftsteller. Das mag man schon manchmal vergessen, dass Kunze nicht nur ein Rock-Poet ist, sondern auch für das bloße Medium Sprache ein Faible hegt. Das Schreiben, sagt er am Freitag nach der Lesung im Waschhaus, entspringe seinem Mitteilungsbedürfnis. Mitteilen, teilen, was ihm eben so durch den Kopf geht. Ihm oder diesem Trubschacher, dem fiktiven Erzähler. Jener Trubschacher oder wer auch immer macht sich allerdings über die angeblichen Highlights der Weltliteratur lustig, auch James Joyce’ „Ulysses“ muss dran glauben: Diese vermeintliche Sternstunde irischer Literatur sei so langweilig, dass er das Buch dreimal zu lesen angefangen und abgebrochen habe. „Die Wahrheit muss raus!“

Seltsamerweise ähnelt Kunzes Schreibstil irgendwie dem ungeordneten, wirren Gedankenflusses des Iren, wechselnde Icherzähler, von denen sich Kunze als Kunze distanziert, tragen zur Verwirrung bei. Man muss schon aufpassen, und nicht selten rasen die Metaphern schneller vorbei, als man sie aufdröseln und genießen kann, wie man es müsste, um ihnen gerecht zu werden. Denn Kunze wäre nicht er selbst, würde er nicht um jede Formulierung, jedes Komma ringen. Ein Sprachfetischist, ein Perfektionist, der genau so liest, wie er seine wunderbaren Lieder vermutlich singen würde. Da macht das Zuhören Spaß, erst recht, wenn man sich hier und da wiederfindet im Text. Wenn der Deutschrocker sich über die Zuckergusskapelle der Beachboys lustig macht und auf das zweite Übel der grünen Insel, den selbsternannten Weltretter und U2-Sänger Bono, verweist, bevor er seinen ganzen Frust über den erbärmlichen Zustand der hiesigen Musikszene loslässt, wo Musikpreise an „Bohlen-genagelte Plärrnaddeln“ und „Jazzer im Rollstuhl“ verliehen werden. Da fallen köstliche Wortschöpfungen wie „Geräuschprekariat“, die unerschöpfliche Heimat der Schlagerkäufer und „schleimige Seilschaften, die bei Pornos auf die Handlung achten“. Erfolg ist, sagt irgendwann jemand im Buch, „wenn deine Musik im Supermarkt nicht weniger kostet als ein Schnitzel“.

Aha. Aber der Erzähler, Trubschacher vielleicht, ist hart im Nehmen, in der Speisekammer stapeln sich Atommüllfässer zwischen Senfgasgurken und Biochemonade. „Ich bin schuld“, sagt er gleich mehrmals, und man ahnt: Dieser „Ich“ hat bestimmt keinen „Atomkraft Nein Danke“ -Aufkleber am Auto. Auch wenn er gleich drauf einen Blues über das Bienensterben rezitiert. Und es kommt noch diffuser. Trubschacher fährt mit Bob Dylan und Miles Davis durch Amerika, Lady Di bekommt gemeinsam mit Eisbär Knut Asyl in seinem Kellerverlies und er selbst gibt Musikunterricht im Hallenbad, wo die Klaviere im Becken schwimmen. Sehr spinnert das alles, ein bisschen Kurt Schwitters, ein bisschen Boris Vian.

Und immer wenn man sich freut, wie lustig das alles ist, das Grübeln über die Herkunft einzelner Schuhe am Straßenrand zum Beispiel, schaudert es einen. Die spitzzüngige, böse Analyse des Frühstücksfernsehens, wo man sich zwischen Slalomläufern („wie ein Zitteraal auf Kokain“) und senilen Sexualforscherinnen entscheiden muss. Mindestens ebenso traurig wie der Nachrichten-Wahn in einer Welt, in der eh schon alles öffentlich ist, im Fernsehen live kopuliert, geboren, operiert und gestorben wird. Nun gelte es, das letzte Tabu zu brechen und die Volksgemeinschaft beim öffentlichen Ausscheiden zusammenzuschweißen. „Ich gehe dahin, wo es weh tut“, hieß die erste Zeile der Lesung. Ja, es tat manchmal weh, aber es war schön.

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